Ich, Heinrich VIII.
versuchte, unsere Blicke miteinander zu verschmelzen. »Ich bitte Euch um all der Liebe willen, die zwischen uns gewesen ist, mir Recht und Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Habt Erbarmen und Mitleid mit mir, denn ich bin nur ein armes Weib und eine Fremde, die nicht in diesem Reich geboren ward. Ich fliehe zu Euch, denn in Eurer Hand liegt das Recht in diesem Reiche …«
Sie hatte tatsächlich den Verstand verloren! Alles starrte herüber, halb auf mich, halb auf sie. So etwas hatte man bei Gericht noch nie erlebt. Ich selbst starrte sie ebenfalls an. Noch immer hatte sie den Blick zu mir erhoben. Ich sah sie an; das junge Mädchen, das ich einmal geliebt, war kaum wiederzuerkennen. An ihrer statt sah ich eine Feindin, die entschlossen war, mich nach ihrem Willen zu beugen und einen Narren aus mir zu machen.
Und sie fuhr fort. »Ich rufe Gott und alle Welt zum Zeugen, dass ich Euch stets ein treues, demütiges und gehorsames Weib gewesen bin und immer nach Eurem Willen und Wohlgefallen gehandelt habe. Ich habe alle geliebt, die auch Ihr liebtet, nur um Euretwillen, und seien es auch meine Feinde gewesen. Zwanzig Jahre lang war ich Euch eine treue Ehefrau, und ich habe Euch viele Kinder geschenkt, wenngleich es dem Herrn gefallen hat, sie alle wieder zu sich zu nehmen …« Sie hielt inne, denn dies war schmerzlich für uns beide. Es tat mir so weh wie ihr. Dann hob sie den Blick wieder zu mir und fuhr das schwerste Geschütz ihres wohl eingeübten Zeugnisses wider mich auf.
»Und als Ihr mich das erste Mal besaßet – und ich rufe Gott als meinen Zeugen an –, da war ich eine reine Jungfrau, die noch kein Mann je berührt. Und ob dies die Wahrheit ist oder nicht, stelle ich Eurem Gewissen anheim.«
Wieder schwieg sie und sah mich an, und ihre Augen brannten sich in die meinen. Wie konnte sie mir das antun? Meine Unerfahrenheit bloßstellen vor all diesen Zeugen? Sie, die sie nicht Jungfrau gewesen war, musste sich meines Zustandes bewusst gewesen sein. Jetzt trachtete sie mich zu demütigen!
Ich schwieg – eine gnädige Erwiderung –, bis sie die Augen niederschlug und den Rest ihrer Rede vortrug. Es war töricht und bedeutungslos. Am Ende raffte sie sich auf, blickte mich noch einmal an – hasserfüllt diesmal – , wandte sich ab und verließ den Gerichtssaal. Auch dies ein unerhörtes Benehmen!
»Madam!«, rief der Gerichtsdiener. »Ihr seid noch einmal aufgerufen!« Dreimal wiederholte er seinen Ruf.
»Das kümmert mich nicht«, erwiderte sie darauf. »Dieses Gericht ist nicht unbefangen gegen mich. Meines Bleibens ist nicht länger.« Und sie verschwand.
Alle starrten ihr nach, als ihre kurze Gestalt von den Schatten des Korridors verschluckt wurde.
Es war unvorstellbar, dass so etwas vor einem normalen Gerichtshof geschehen sollte. Zu erscheinen und wieder zu verschwinden! Sich zu weigern, den zugewiesenen Platz einzunehmen, und sich dann vor dem Mitbeklagten zu verteidigen!
Und mich überdies zum Narren zu machen! Das war ihr oberster Beweggrund gewesen. Denn welche Antwort hatte sie von mir erwartet?
Man stellte fest, dass sie der Ladung nicht gefolgt sei, und das Verfahren nahm seinen Fortgang. Es war über die Maßen langweilig. Viele alte Männer berichteten von den Großtaten, die sie als Fünfzehnjährige vollbracht hätten (um so die Behauptung zu untermauern, Arthur sei durchaus zu dem Erforderlichen in der Lage gewesen), und man suchte ausgiebig nach einem Zeugen, der den unwiderlegbaren Nachweis dessen hätte erbringen können, dass Arthur und Katharina die Ehe vollzogen hatten; aber natürlich fand sich kein solcher Zeuge, denn es hatte ja niemand unter dem Bett gelegen. Tag um Tag zog sich das Verfahren hin, und Katharinas Platz blieb leer.
Katharinas Anwälte – Warham, der Erzbischof von Canterbury, der sich in der ganzen Sache unschlüssig gezeigt hatte, Bischof Fisher (wieder er!), Bischof Standish von St. Asaph, Bischof Tunstall von London, Ridley, der Bischof von Bath und Wells, und George Athequa, Katharinas spanischer Beichtvater – äußerten sich verworren. Was sie sagten, hatte weder Hand noch Fuß. Die meinen hingegen redeten überzeugend. Aber es nützte alles nichts: Am Ende, als das Urteil zu sprechen war, erhob Campeggio sich und verkündete, dies sei ein römisches Gericht, und in Rom seien wegen der Hitze sämtliche Gerichtsverfahren bis Oktober ausgesetzt, und deshalb sei auch diese Verhandlung nun vertagt.
Als er diese Erklärung mit seiner zittrigen
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