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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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die Erlaubnis, sich zurückzuziehen. Es ist seltsam, wenn ich daran denke, dass ich ihn nie wiedersah. Als Anne und ich tags darauf von der Jagd zurückkehrten, waren er und Campeggio abgereist. Ich wusste, welche Richtung Wolsey einschlagen würde, und so sandte ich Henry Norris zu Pferde aus, dass er ihn einhole und ihm zum Zeichen dafür, dass unsere Freundschaft fortbestehe, einen Ring schenke.
    Es kam offenbar zu einer peinlichen Szene. Der stolze Wolsey sprang von seinem Maulesel und warf sich im Schlamm auf die Knie, und er packte den Ring (und Norris’ Hand) und bedeckte ihn mit wilden Küssen, und dabei rutschte er die ganze Zeit im knietiefen Morast herum. Es war eine schmerzliche Vorstellung für mich.
    Aber in Amt und Würden behalten konnte ich ihn nicht. Er hatte in meiner »großen Sache« versagt, und nur meine Milde bewahrte ihn vor seinen Feinden, die nach seinem Kopf schrien. Politisch war er mir nicht mehr von Nutzen. Es war mein Wunsch und mein Befehl, dass er sich in seine Erzdiözese York zurückziehe und dort seine geistlichen Pflichten ausübe, und zwar für den Rest seines Lebens, still und ohne mich weiter zu belästigen.

    Dazu indes erwies Wolsey sich als einzigartig unfähig. Er konnte es nicht ertragen, von aller Macht abgeschnitten zu sein. Er glaubte immer noch, für die Hochgestellten wertvoll zu sein – wenn nicht für mich, dann vielleicht für den Kaiser oder den Papst, die ihn für das, was er wusste, womöglich gut bezahlen würden. Wir fingen seine Briefe ab, in denen er sich mit just diesem Angebot zu verkaufen suchte. Sein italienischer Arzt, Agnosisti, hatte als Kurier gedient. Ein täppisches Unterfangen – aber Wolsey war verzweifelt.
    Das Herz war mir schwer. Ich hatte keine Wahl. Wolsey hatte sich in die Hände seiner Feinde bei Hofe und im Parlament gegeben, die schon längst nach seiner Vernichtung schrien; ihnen war die bloße Verbannung nicht genug. Er hatte eindeutig Verrat begangen. Und die Strafe für Verrat ist der Tod.
    Noch monatelang konnte ich sie abwehren, aber schließlich musste ich doch meinen Namen unter das mächtige Pergament setzen, in welchem seine Verhaftung wegen Hochverrats befohlen wurde. Es gab keine andere Möglichkeit.
    Um diese Zeit befand Wolsey sich bereits hoch im Norden, etwa einen Tagesmarsch weit von York und seiner Diözese dort entfernt. York aber war der Sitz der Percys.
    Und so fügte es Gott, dass Henry Percy (Annes storchenähnlicher Verehrer), als oberster Lord in diesem Bezirk, als Einziger befugt war, Wolsey zu verhaften.
    Ich war natürlich nicht dabei. Aber Zeugen schilderten mir die herzerweichende Szene: Wie sie Wolsey in seinen Empfangsgemächern überraschen, wie verwirrt er ist, als er ihrer ansichtig wird – er ist im Hemd und fast barfuß. Im Kamin brennt kein Feuer, es ist kein Holz da. Aber er richtet sich auf, ganz wie früher, und heißt sie willkommen, als wären sie in Hampton Court. Sie sind ihm fremd. Aber dann erblickt er Percy im Hintergrund, und sein müdes Gesicht leuchtet auf. Ein Freund. Ein bekanntes Gesicht. Sein müder Kopf hat vergessen, dass er sich den Jungen zum Feind gemacht hat, vor ungefähr fünf Jahren.
    Er tritt vor, um Percy in die Arme zu schließen, einen Freund aus seinem Gefolge von damals. Er entschuldigt sich wortreich für die Ärmlichkeit seiner Umgebung, wie er es auch in seinen großartigen Palästen zu tun pflegte. Dann wendet er sich mit mitteilsamer Gebärde an Percy, und während er plappert, folgt Percy ihm nervös umher. »Ich gedenke, im nächsten Mai sämtliche Firmungen in der Diözese York vorzunehmen«, erzählt er – der leeren Luft. »Und alle Trauungen. Im Sommer finden viele statt. Und ich will mein einfaches Leben auf dem Lande genießen.«
    »Mein Lord«, sagte Percy, so leise, dass Wolsey es fast nicht hört und daher weiterschwatzt. »Mein Lord«, wiederholt Percy und legt ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich verhafte Euch wegen Hochverrats.« Seine Stimme ist ein Krächzen.
    Wolsey fährt herum. Sie starren einander an – der gezüchtigte Knabe und der gestürzte Kardinal. Rache sollte süß sein, aber sie ist es nicht. Wartet man zu lange, schmeckt sie ranzig.
    Wolsey erreicht London nicht mehr. Ehe er noch sein kleines Haus in Cahill verlässt, klagt er über Leibschmerzen (die er selbst hervorrief? Vor der Verhaftung litt er nicht daran). Am Ende des ersten Reisetages ist er schwer erkrankt, und seine Bewacher müssen die Mönche in der Abtei von

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