Ich, Heinrich VIII.
Leicester bitten, ihn bei sich ruhen zu lassen.
Als er im Kloster ist, gibt er eine großartige Vorstellung und sagt seinen eigenen Tod voraus. »Um die achte Stunde des achten Tages«, prophezeit er, nachdem er vorher verkündet hat: »Ich bin gekommen, meine Gebeine unter Euch zur Ruhe zu betten.« Die braven Brüder sind von alldem sehr beeindruckt. (Aber wie sollte er die genaue Stunde wissen, wenn er nicht ein Tränklein genommen hatte, dessen Wirkungszeit er kannte?)
Man legt ihn auf eine einfache Matratze in einer Steinzelle. Daraufhin ruft er nach seinem Kammerdiener George Cavendish und nach einem Mönch, und dann spricht er seine letzten Worte: »Hätte ich meinem Gott nur halb so eifrig gedient, wie ich meinem König diente, Er hätte mich nicht noch im Alter nackt in die Hand meiner Feinde gegeben.« Dann (so sagt man) wandte er das Gesicht zur Wand und starb.
Als ich es hörte, war ich froh. Wolsey hatte den Wölfen bei Hofe ein Schnippchen geschlagen. Nun würde – nein, konnte! – kein Hochverratsprozess mehr stattfinden. Gift hatte er genommen? Umso edler und tapferer war er gewesen!
Und am Ende hatte er Gott angerufen und war in einer Steinzelle in der Abtei zu Leicester gestorben, statt im Hause des Priors von St. Lawrence. Hatte er beizeiten bereut? Wohin war seine Seele entschwebt?
Ich war allein. Wolsey war nicht mehr da. Mein Vater war nicht mehr da. Katharina war nicht mehr da – als meine Beraterin wenigstens. Ich stand allein. Und es gab viel zu tun.
Vor mir lag die Straße nach Rom. Ich wusste es wohl: Ich konnte sie nehmen, aber es würde eine Zeit raubende, kostspielige und demütigende Reise werden. Und das Urteil war gleichwohl unsicher.
Eine schmalere Seitenstraße zweigte ab. Sie führte fort von Rom, fort von Wolsey, fort von allem, was ich kannte. Wohin sie führte, das sah ich nicht, aber auf ihr zu reisen, konnte nicht weniger Zeit raubend und unsicher sein. Gleichwohl lockte sie mich. Ich würde diese Straße gehen, ganz gleich, wer versuchen würde, mich daran zu hindern. Sie würde nicht in Rom enden, sondern … ja, wo? Bei mir?
XLI
I ch brauchte dringend Rat. Ich hatte keine Richtschnur, keinen Plan. Ich lehnte es ab, nach Rom zu reisen und vor einem Gericht zu erscheinen. Aber ohne die Entscheidung des Papstes war ich hilflos.
Annes Schadenfreude über Wolseys Sturz (sie und ihre Freunde feierten seinen Tod mit einem Maskenspiel, das den Titel »Kardinal Wolseys Fahrt zur Hölle« trug) war voreilig. Tatsächlich war damit niemandem geholfen – außer ihm selbst.
Anne, entschlossen, Katharina in allem zu ersetzen, auch in ihrer früheren Funktion als meine Beraterin, versuchte, mich auf eine Möglichkeit hinzuweisen, die »große Sache« zu einer Lösung zu bringen. Sie erwähnte, dass der Kaplan ihres Haushalts, Thomas Cranmer – der auch ein Gelehrter und Theologe in Cambridge war –, den Vorschlag gemacht habe, die kitzlige Frage den großen Universitäten Europas vorzulegen und die Theologen dort über all die damit verbundenen spitzfindigen Aspekte abstimmen zu lassen. Wenn ich eine vernehmliche Mehrheit auf meiner Seite hätte, würde Seine Heiligkeit bestimmt auf mich hören.
Wer war dieser gewitzte Mann? Wer immer er sein mochte, er verstand sich offenbar auf sein Geschäft. Ich äußerte den Wunsch, ihn kennen zu lernen; er zierte sich, aber ich bestand darauf, dass er an den Hof komme.
Cranmer taugte nicht für den Hof; das sah ich auf den ersten Blick. Er trug den verschlissenen Mantel des Universitätstheologen, und sein Haarschopf war ganz struppig. Aber er schien mir von sanftmütiger Natur zu sein und sich weder von Prunk noch von Armut schrecken zu lassen. Ich mochte ihn sofort.
Offenbar verstand er, welches verzwickte Problem mir auf der Seele lastete. Zusammen entschieden wir, welche Universitäten um ihre Meinung gebeten werden sollten: Oxford und Cambridge in England, Orleans, Bourges, Paris und Toulouse in Frankreich, Ferrara, Bologna und Pavia in Italien und auch die deutschen und die spanischen Universitäten.
Ich gab ihm die Erlaubnis, sich der besten Männer für diese Aufgabe zu versichern und sämtliche Kosten der Privatschatulle anzulasten – dem Kämmerer des Königs. Er lächelte zögernd und ging rückwärts hinaus.
Vorläufig aber war das Weihnachtsfest zu ertragen. Anne hatte ihre Gemächer rechts von den meinen, und Katharina wohnte links. Das Protokoll verlangte, dass Katharina und ich bei den Weihnachtsfestlichkeiten
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