Ich, Heinrich VIII.
lächelte strahlend. Im Zwielicht des Feuers sah ich das junge Mädchen, das sie einst gewesen. Und dann begann auch sie, mich zu schelten. »Ihr kommt mich nie besuchen … Ihr speist nicht mit mir … Ihr lasst mich hier sitzen, vernachlässigt und vergessen, einsam wie im Fegefeuer …«
Sie streckte die Hand aus und erfasste meinen Arm, und ihre Finger gruben sich so schmerzhaft in mein Fleisch, dass mein einziger Gedanke war, mich aus ihrem Griff zu befreien.
Sie redete und redete, über all meine Versäumnisse und über die Verletzungen ihrer Person, bis ich glaubte, ihre Zunge müsse sich festfressen. Aber das tat sie nicht. Schließlich packte mich der Zorn.
»Es ist deine eigene Schuld, wenn du dich vernachlässigt und unbehaglich fühlst!«, schrie ich und senkte dann meine Stimme. »Du bist die Herrin in deinem eigenen Haushalt, und du kannst gehen, wohin du willst, und tun, was dir beliebt.«
»Aber nicht ohne meinen Gemahl«, erwiderte sie in falscher Unterwürfigkeit.
»Du hast keinen Gemahl mehr!«, brach es aus mir hervor. »Dein Gemahl ist tot, und er ist es seit fast dreißig Jahren! Ich bin nicht dein Gemahl. Gelehrte Doctores der Kirche haben mich dessen versichert!«
Katharina straffte sich. »Doctores! Sie sind dumme Kreaturen. Ihr kennt die Wahrheit selbst.«
Ja, ich kannte sie. Gott hatte mir die Wahrheit gezeigt.
»Der Papst wird entscheiden«, erklärte sie zuversichtlich. »Er wird wissen, was Gottes Wille ist.«
Gottes Wille. Was wusste Klemens von Gottes Willen? Den kannten die Theologen besser als er. »Die gelehrten Theologen aller Universitäten werden den Fall studieren und eine Entscheidung treffen. Und wenn der Papst dann nicht in meinem Sinne urteilt, dann werde ich den Papst zum Ketzer erklären und ihm nicht länger gehorchen.«
Es knackte im Feuer. Hatte ich das wirklich sagen wollen? Katharina starrte mich an. Wie auch immer, ich hatte es gesagt. Ich verabschiedete mich und ging zurück zu Anne.
Ich erzählte ihr, was eben geschehen war, welche schrecklichen Worte ich gesprochen hatte und was sie bedeuteten. Aber ihr Interesse galt allein Katharina, nicht meiner Herausforderung an den Heiligen Stuhl.
Sie stand in ihrem samtenen Nachtgewand an der Tür zu ihrem inneren Gemach und lachte. »Ihr solltet so klug sein, mit Katharina nicht zu streiten«, sagte sie, als sie wieder zu Atem gekommen war. »Noch nicht ein einziges Mal habt Ihr einen Streit mit ihr gewonnen.«
Da wollte ich auffahren, aber sie ließ mich schweigen. Sie hob an, etwas zu sagen, doch dann bewölkte sich ihre Miene, und sie schien den Tränen nahe zu sein. »Eines Tages wird Katharina Euch mit ihren Argumenten so sehr überzeugen, dass Ihr zu ihr zurückkehrt«, sagte sie betrübt.
Ich wollte widersprechen, aber wieder schnitt sie mir das Wort ab. Ihre Augen schwammen in Tränen, und ihr langes Fuchsgesicht bebte.
»Ich habe alles für Euch aufgegeben«, stellte sie fest. »Und jetzt weiß ich, dass Ihr am Ende zu Katharina zurückkehren werdet. Ihr müsst es. Und bis dahin« – sie hielt die Tür geschickt halb geschlossen, sodass ich mich nicht hineindrängen und sie in meine Arme schließen konnte – »ist jede Gelegenheit zu einer ehrbaren Vermählung, die ich vielleicht einmal hatte, dahin, da ich nun einmal als des Königs Großhure bekannt bin! Meine Jugend ist vertan! Mir bleibt nichts weiter übrig, als … Ich kann nicht sagen, was aus mir noch – werden wird!« Schluchzend warf sie die Tür ins Schloss.
Verdattert stand ich da. Und ich beneidete die Mönche, die von den Fallstricken der Weiber nichts zu fürchten haben. Wäre ich Erzbischof von Canterbury geworden …
Aber das war ich nicht. Wir müssen uns abfinden mit dem, was wir sind.
Wenn ich dem Papst den Gehorsam aufkündigte, wer würde dann seinen Platz in meinem Leben einnehmen? Es war ja das Amt selbst, das ich in Zweifel zog, nicht nur Klemens. Wann hatte sich das Gewicht so verlagert?
Ich hatte es zu Katharina gesagt, und plötzlich war es auch meine Überzeugung: Ich würde dem Papst nicht gehorchen, ganz gleich, zu welchem Urteil er käme. Ich glaubte nicht mehr an seine geistliche Autorität.
Wann war es dazu gekommen? Ich wusste es nicht … wusste nur, ich war im tiefsten Herzen sicher, dass der Papst nicht der Stellvertreter Christi war; das ganze Amt des Heiligen Vaters war von Menschen gemacht und hatte nicht mehr Gewicht als die Prunkwagen von Papiermaché, die wir an Weihnachten benutzen. Ich hatte
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