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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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mich bemüht, dem Papst wohlgefällig zu sein, wie ich mich in allem bemüht hatte, ein »vollkommener« König zu sein.
    Was für ein Narr war ich gewesen! Vor dem Papsttum zu zittern und um seine Erlaubnis zu betteln! Ein dreimal verrückter Narr – aber nun nicht mehr, nicht mehr!
    Man darf nicht denken, England sei nun die ganze Zeit ohne Lordkanzler gewesen. England würde vielleicht ohne Papst auskommen, aber nicht ohne einen Lordkanzler. Da mir aber die Erinnerung an ihn immer noch schmerzlich ist, habe ich den Bericht über die Auswahl von Wolseys Amtsnachfolger hinausgeschoben.
    Unmittelbar nach Wolseys Sturz drängten sich viele danach, Lordkanzler zu werden. Es belustigte mich, wie viele sich für geeignet hielten, dieses Amt auszufüllen, und es in Wirklichkeit nicht waren.
    Der Herzog von Norfolk. Er hatte das Ansehen seines Standes und des alten Familiennamens, aber er war seltsam fantasielos und viel zu konservativ, als dass er meinen Bedürfnissen in jenen Tagen entsprochen hätte.
    Der Herzog von Suffolk. Brandon, mein lieber Freund und Schwager. Er war ein gewitzter und unermüdlicher Soldat, aber kein Staatsmann. Er war nicht der Richtige.
    Da waren die Kleriker: der schlaue Gardiner, der alte Warham, der donnerbrausende Fisher, der glattzüngige Tunstall. Aber ich wollte keine Kirchenmänner mehr; ich gewöhnte es mir ab, mich darauf zu verlassen, dass Prälaten für mich arbeiteten. Ich wollte einen Gelehrten, einen Staatsmann, einen Laien.
    Wen anders als Thomas More?
    Ja, More. Ich beschloss, mich sofort mit ihm zu treffen. Ich würde ihn in seinem Hause in Chelsea besuchen, in welches ich niemals eingeladen worden war. Also gut. Ich würde mich selbst einladen.
    Chelsea war ein kleines Dorf, drei Meilen weit von London gelegen. Die Bootsfahrt dorthin dauerte eine gute Stunde. More zog es vor, dort zu leben, um dem Londoner Wirrwarr, wie er es nannte, zu entgehen.
    Die königliche Barke kam um eine Biegung des Flusses. Vor uns lag nichts als freies Feld und Waldland. Wir hatten London hinter uns gelassen. Die Sonne am Himmel ließ mich schwitzen und verwandelte den Fluss in eine glitzernde Fläche.
    Wir näherten uns Mores Anlegestelle. Sie war für kleine Boote gedacht, und unsere große Barke konnte dort nicht festmachen. Ich würde auf dem Fluss vor Anker gehen. So geschah es auch, aber noch als wir Anker warfen, erhob sich am Ufer ein großer Trubel. Die königliche Barke war etwas, das jedermanns Aufmerksamkeit auf sich zog. Jeder Landmann im Umkreis von einer Meile hatte seinen Pflug Pflug sein lassen und war hergekommen, um die Barke zu begaffen. Infolgedessen war das Ufer von Menschen gesäumt – kaum die rechte Voraussetzung für mein unauffälliges Erscheinen.
    Ein kleines Ruderboot diente dazu, mich zum Landungssteg zu bringen. Ich hoffte, Sir Thomas behaglich daheim anzutreffen. Es war von höchster Bedeutung, dass er sich entspannt fühlte. Ich kletterte also aus dem kleinen Boot und ging den Steg entlang. Das Boot legte hinter mir wieder ab.
    Der Steg erschien mir sehr lang. Vor mir lag Mores Heim, ein gutes Stück weit abseits des Flusses. Ein ausgedehnter, abschüssiger Rasen reichte bis zum Ufer hinunter. Das Gras war von so tiefem Grün, dass es fast zu leuchten schien. Lag es daran, dass die riesigen Eichen ringsumher es mit ihrem Schatten vor der Nachmittagssonne schützten?
    Endlich stand ich auf dem kurz geschnittenen Rasenteppich. Eine kleine Herde Ziegen in der Nähe blickte auf, und ihre gelben Schlitzaugen musterten mich abschätzend. Bald aber verloren sie das Interesse und fuhren fort, am Grase zu knabbern.
    Es war niemand zu sehen. Das Haus stand verschlafen und scheinbar leer in der Spätnachmittagssonne. An der Seite war eine Reihe Bienenkörbe zu sehen, und kaum hörbar drang das träge Gesumm der Bienen an mein Ohr.
    Ich seufzte. So hatte ich den ganzen Weg umsonst gemacht. Dennoch empfand ich so etwas wie Triumph darüber, dass ich nun endlich Mores Privathaus gesehen hatte.
    Hinter mir polterte es auf den Planken, als die Bootsleute und meine wenigen Bediensteten mir den Steg hinauf folgten. Sie plauderten, einige sangen sogar. Sie würden nicht mehr so fröhlich sein, wenn sie erführen, dass wir umkehren und nach London zurückfahren mussten. Vielleicht sollten wir uns alle für ein halbes Stündchen auf dem Rasen niederlassen und den Schwänen und Booten auf der Themse zuschauen. Es war ein bezaubernder Anblick.
    Plötzlich kam jemand aus dem Haus

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