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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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wiederum hatte sich dafür bereit gefunden, diese Reise mitsamt ihren (für ihn) unappetitlichen religiösen Aspekten über sich ergehen zu lassen. Aber das Gezänk und die Anspannung unterwegs würde er genießen, das wusste ich – dergleichen ließ ihn stets aufblühen. Nun, er würde es genießen können, bevor wir unser Ziel erreichten.
    Die sechs anderen ritten zusammengedrängt hinter ihm und plapperten; ihr dampfender Atem stieg über ihnen auf und verschmolz zu einer einzigen Wolke. George Boleyn, Nicholas Carew, William Brereton, Edward Neville, Francis Weston, Henry Howard: Was hatten sie miteinander gemeinsam? Eine Kluft von dreißig Jahren trennte Henry Howard von Edward Neville. Worüber unterhielten sie sich? Aber sie unterhielten sich, und sogar angeregt. Einzelne Worte wehten durch die frostige Luft zu mir: Sir … Frankreich … Elisabeth … zwei Wochen …
    Elisabeth. Ob Maria schließlich doch in ihren Dienst treten würde? Was war sie nur für ein widerspenstiges Kind! Ich würde ihr zu verstehen geben, dass dieses Benehmen nicht länger toleriert werden könne. Sie würde der Prinzessin Elisabeth dienen, oder … oder …
    Oder was? Ich wusste es nicht, und ich wollte auch nicht darüber nachdenken, zu welchen Maßnahmen ich womöglich gezwungen sein könnte. Daheim in London waren Schreiber dabei, schimmernde Stapel von Eidesformularen vorzubereiten, die im ganzen Reich verteilt werden sollten, sobald das Wetter sich besserte. In jeder Stadt, in jedem Dorf würden Kommissare hinter solchen Stapeln sitzen und sich vergewissern, dass alle Gildenbrüder, Richter und Anwälte, Geistliche und Lehrburschen ihre Unterschrift darunter setzten und damit – bei ihrer unsterblichen Seele – schworen, meine Ehe mit Anne als gültig und meine Tochter Elisabeth als (vorläufig) einzige Erbin anzuerkennen. Zu ihrer Linken würde ein tödliches Dokument liegen, in welches die Namen derer eingetragen werden sollten, die sich in Gegenwart von Zeugen weigerten, diesen Eid abzulegen. Ihre Gründe würden in diesem Dokument nicht aufgeführt werden. Nur ihre Namen.
    Was würde ich mit den Stapeln dieser Dokumente anfangen? Denn ich gab mich nicht der Illusion hin, dass sie leer in den Palast zurückgebracht werden würden.
    Der Himmel war klar, die Sonne klein und geschrumpft wie ein trockener Apfel. Nichts lebte auf dem Lande; nirgends regte sich etwas. Leicht zu glauben, dass dies den Zustand des Königreiches widerspiegelte: schweigend verharrend. So war es; aber bis Mai würde alles anders sein.
    Chapuys näherte sich wieder. »Mein Knie tut plötzlich weh«, erzählte er. »Wir werden anderes Wetter bekommen, befürchte ich.«
    Wie weibisch die aus dem Süden doch waren! Sie kamen aus einem Land der Granatäpfel und lauen Lüfte, und schlug einmal der Wind um, so konnten sie es nicht ertragen. Oder war es eine List – ein Vorwand, im Galopp allein nach Beaulieu House vorauszureiten, um unter vier Augen mit Maria zu sprechen? Wie durchsichtig.
    Ich klopfte auf meine silberne Reiseflasche; sie enthielt einen Trank aus Irland, der das Blut erwärmte: Uisgebeatha. Ich reichte sie Chapuys. »Trinkt das. Dann spürt Ihr Euer Knie nicht mehr.«
    Er nahm einen Schluck und schnappte nach Luft. »Gift!«
    »Für die Iren nicht, wie ich höre.«
    Chapuys schüttelte den Kopf. »Mein Knie – ich flehe Euch an: Es lügt nicht. Ich schlage vor, wir suchen irgendwo Unterschlupf …«
    Der Himmel war hell und klar. »Was, am helllichten Tage? Wir haben noch fünf Stunden stramm zu reiten«, antwortete ich beruhigend.
    Und so ging es weiter; nur einmal machten wir kurze Rast, um uns zu erfrischen, aber dann brachen wir gleich wieder auf, um den kurzen Wintertag zu nutzen, so gut es ging. Die Sonne zog vorbei und senkte sich hinter uns herab; lang erstreckten unsere Schatten sich vor uns.
    Und dann schwanden sie, obgleich die Sonne noch nicht untergegangen war. Wann genau dies geschah, weiß ich nicht – aber plötzlich wurde mir bewusst, dass wir seit einer Weile schattenlos dahinritten. Vor uns lag bläuliches Zwielicht. Da drehte ich mich um und sah es: Wolken verhüllten die Sonne wie eine dicke Wolldecke, und der Wind, der ihnen vorauswehte, war schneidend kalt. Unter den Wolken aber schwebte wie ein schwerer grauer Vorhang der Schnee, und er trieb schneller heran, als jedes Pferd galoppieren konnte. In weniger als einer Stunde würde er uns eingeholt haben.
    Meine Hände zitterten, und die Kälte in meinem Innern

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