Ich, Heinrich VIII.
Hengst die Fersen in die Flanken, so heftig ich konnte, und schlang mir die Zügel wieder und wieder um die fühllosen Handgelenke. Sollten die Arme doch die Arbeit der Hände tun.
»Kommt!«, rief ich.
Wieder klatschte Schnee mir auf die linke Wange. Ich fühlte es kaum auf der bloßen Haut.
Der dünne schwarze Strich vor uns wurde stachlig. Bäume. Der Wald. Wills Wald.
Die Bäume waren Eichen. Es war ein alter Wald, ein Urwald, der seit Beckets Tagen hier stand und uns erwartete. Mit einem letzten stürmischen Angaloppieren drang mein Pferd ins Unterholz, und sofort fühlte ich, dass die Kraft des Windes nachließ, als er sich an den Eichen brach. Ein Rauschen umhüllte uns wie das Seufzen einer Mutter.
Ich wandte mich um und sah, wie die anderen hereingaloppiert kamen. Chapuys … Will … Carew … dann der Rest, unkenntliche Gestalten, neun an der Zahl. Alle waren da.
Erst jetzt schaute ich umher. Der Wald war tief und dunkel, der raue Boden von Ästen und Steinen übersät. Ein gefährlicher Grund für die Pferde. Sollten wir sie nur ein Stück weit in die Finsternis hineinführen und dann Halt machen und irgendwo Schutz suchen, oder sollten wir es auf uns nehmen, weiter hineinzureiten – in der Hoffnung, einen besseren Unterschlupf oder gar eine verlassene Hütte zu finden? Kaum hatten diese beiden Möglichkeiten in meinem Geist Gestalt angenommen, wusste ich auch schon die Antwort: Ich entschied mich für diejenige, die am gefährlichsten war, aber auch den größten Lohn in sich barg. Wir würden tiefer in den Wald hineinreiten.
Als ich meinen Entschluss bekannt machte, erhoben die Männer Widerspruch. Ich gebot ihnen Schweigen, und sie mussten gehorchen.
Das Schneetreiben war noch immer ein Stück weit von der Baumgrenze entfernt; ich wandte ihm den Rücken zu und trieb mein Roß vorwärts in das unbekannte Gelände. Keine fünf Minuten waren vergangen, und der bewölkte Himmel und die hohen Bäume ließen die Düsternis so bedrückend werden, dass sie uns fast wie etwas Lebendiges erschien. Die dicken Äste über unseren Köpfen regten sich – ein wogendes Dach über einer unheilvollen, stillen Kammer voller Fallgruben.
Und die ganze Zeit über herrschte eine Kälte wie aus einer anderen Welt, eine Kälte wie ein lebendes Wesen. Ich blickte umher. Holz gab es reichlich, aber es war so kalt, dass es schwer zu entzünden wäre. Sprödes altes Eichenlaub bedeckte den Boden wie ein Teppich; die Blätter könnten als Zunder dienen, aber jetzt verbargen sie wirkungsvoll jedes tückische Loch, in dem ein Pferd sich das Bein brechen könnte. Ein Erdwall oder sonst etwas, das uns hätte Schutz bieten können, war nirgends zu sehen.
»Euer Gnaden! Wir müssen anhalten!«, schrie Will – der Einzige, der sich getraute, mir zu sagen, was ich tun sollte. »Gleich hat es uns eingeholt, und dann haben wir keine Zeit mehr, irgendetwas zu bauen. Wir müssen Halt machen und uns eine Deckung suchen!«
»Nein, Will! Weiter hinein! Weiter hinein!« Meine Stimme hallte laut und sicher zwischen uns. Die anderen dachten wie er, und wir alle waren jetzt wie Tiere, die nur ihr Überleben im Sinn hatten.
Doch dann übernahmen Tradition und Gewohnheit das Kommando und veranlassten sie, ihren eigenen animalischen Drang zu ignorieren und ihrem gekrönten und gesalbten König zu gehorchen; und dieser König, sicher in dem Glauben, dass er seinem König gehorche, führte sie weiter.
Will:
In diesem Augenblick hielten wir ihn alle für verrückt. Es war offensichtlich töricht, noch tiefer in den Wald hineinzureiten. Aber er schien sich seiner selbst absolut sicher zu sein. Liegt darin das Geheimnis dessen, der über unbedingten Gehorsam gebietet?
Heinrich VIII.:
Jetzt hatte der Sturm uns erreicht; von hinten rannte er gegen uns an. Die Bäume fingen einen großen Teil davon auf, aber noch immer drang genug blendender, wirbelnder Schnee herein, um uns die Orientierung zu nehmen. Es gab weder Norden noch Süden, weder Westen noch Osten, nicht oben noch unten, noch seitwärts. Eine gewaltige Wolke von weißen Schmetterlingen hatte uns verschluckt, und ihre Millionen Flügel flatterten rasend, lautlos, eisig. Ich hätte stillstehen können inmitten des weißen, kalten Wirbels und mich davon zudecken lassen bis zum Tode. Die Versuchung war da, die Lockungen eines schönen, lautlosen Todes …
Heftig erschauernd stieg ich vom Pferd und führte es am Zügel weiter. Ich musste mich bewegen, mein Blut warm halten, damit die
Weitere Kostenlose Bücher