Ich, Heinrich VIII.
deshalb Macht und Stellung bei Hofe aufgegeben hatte? So ging es Hand in Hand: Meine »Große Sache« war auch die seine.
More versuchte nicht erst, Erklärungen oder Entschuldigungen für seine Verarmung vorzubringen. Er schien sie als etwas Natürliches hinzunehmen, wie man die Ankunft des Frühlings hinnimmt. »Wir haben Holzscheite gemästet, die wir nun schlachten wollen«, scherzte er, »denn wir haben einen großen Gast zu ehren.« Mit diesen Worten ließ er ein Feuer entfachen, damit ich mich nicht erkältete.
Aber keine Dienstboten brachten das Holz herein, sondern Margaret und ihr Mann. Sie trugen grobe, alte Kleider, und sie entzündeten das Feuer mit einer Sicherheit, die aus langer Übung geboren war. Das Flackern des Feuers war kaum weniger fröhlich als ihr Plaudern und ihre Bewegungen.
Ich machte es mir vor dem Kamin bequem, und die einzige übrig gebliebene Dienerin brachte uns gewürzten Wein. Die Becher waren aus Holz. Erst jetzt fiel mir auf, dass es hier nicht nur an Silber oder Zinn fehlte, sondern sogar an Schränken, in denen es hätte aufbewahrt werden können.
Woher nahm er den Mut, den König unter so kläglichen Umständen zu bewirten, und noch dazu so selbstsicher wie Wolsey seinerzeit in Hampton Court?
Gesehen hatte ich Thomas More seit fast zwei Jahren nicht mehr. Seit seiner Abkehr vom Hofe hatte er ganz zurückgezogen gelebt und lange religiöse Bücher geschrieben, etwa die eine halbe Million Wörter umfassende Widerlegung der Antwort Tyndales; seine Korrespondenz mit anderen Humanisten und Gelehrten im Ausland hatte ihm den alltäglichen Umgang ersetzt. Der kleine Kreis derartiger Leute in England war mittlerweile zerstört – teils durch den Tod, hauptsächlich aber durch die Politik. Erasmus, durch den Kaiser – wie alle Humanisten – seiner Stellung an einer Universität beraubt, weilte wie More im Exil. Vives und Mountjoy, Verfechter der Sache Katharinas, waren hier in Ungnade gefallen. Es war äußerst schade, dass diese Männer sich in Angelegenheiten der Tagespolitik hatten verwickeln lassen. Bei den toten Römern und Griechen hätten sie bleiben sollen.
More war sichtlich gealtert. Ich vielleicht auch, aber er war weniger gut in der Lage, diese Veränderungen zu maskieren, weil er sich so schlicht kleidete und keine Juwelen trug, die den Blick ablenken konnten. (Treue Diener, die Juwelen. Sie vermögen so vieles, und alles so gut.) Ich erkundigte mich nach seiner Gesundheit, wie es die Höflichkeit vorschrieb, und er antwortete, er habe den Winter über stark unter Wasser in der Lunge zu leiden gehabt, hoffe aber, dass mit wärmerem Wetter auch Linderung komme.
Höchst vernünftige Reden, eine zivilisierte Unterhaltung. Aber die Worte waren schlimmer als alles Gebrüll, schlimmer als Flüche, weil sie so vieles nicht sagten; und das Ungesagte schwebte zwischen uns und verlangte Gehör. So dazusitzen und die Pausen des Schweigens mit einem Muster aus »Konversation« zu umhäkeln, kam mir wie eine monströse Sünde vor. Dennoch beging ich sie immer weiter.
»Man hat mir von Eurer Widerlegung und ihrer prächtigen Argumentation berichtet«, sagte ich.
»Gott hat mir die Möglichkeit gegeben, mich ganz dieser Arbeit zu widmen«, erwiderte er. »Ich hätte sonst niemals so gründlich vorgehen können.«
Das Feuer zischte, und ein Funke sprang zu uns heraus, als wolle er auf seine Art versuchen, unsere Hilflosigkeit zu lindern und uns abzulenken.
»Habt Ihr viel Zeit für die Astronomie?«, erkundigte ich mich. »Der Himmel hier ist klar.«
»Zeit schon, aber ich habe nur selbst gefertigte Instrumente. Euer Neujahrsgeschenk von 1510« – er wusste das Jahr noch; ich war dankbar, ja, in absurder Weise entzückt – »musste leider verkauft werden, damit wir diesen Winter Kerzen hatten. Es fehlt mir jetzt.«
Es war ihm also schwer gefallen, sich von dem Astrolabium zu trennen? Und dass ich heute mit meinem neuen Spielzeug zu Besuch kam … ich tat ihm tatsächlich einen Gefallen und störte ihn nicht? Ich würde ihm die Geräte schenken. Das Herz ging mir über von gutem Willen und Großzügigkeit.
Aber meine Zunge war bleiern, und immer wieder trat Schweigen ein. Erleichtert hörte ich, dass das Abendessen bereit sei und wir mit dem besänftigenden Ritual des Speisens beginnen konnten; vielleicht würde uns der Übergang zur Gelassenheit gelingen, bis die Teller geleert wären.
»Eure Majestät, wollt Ihr den Tafelsegen sprechen und für uns vorbeten?« More
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