Ich, Heinrich VIII.
– und noch eine ganze Stunde bis zur Mondfinsternis. Mit dieser späten Stunde hatte der Allmächtige es höchst unvorteilhaft getroffen.
More ging auf der Plattform auf und ab und rieb sich die kalten Hände. Zwei Stühle standen auf den Bohlen – offensichtlich hatte man sie aus dem Haus hierher geschafft, denn es waren keine Gartenstühle.
»Wir könnten uns zuerst die Venus anschauen«, schlug er vor.
»Aber da ist wenig zu sehen«, widersprach ich. »Sie ist von stets gleichförmiger Erscheinung, und so hell dazu. Mars ist mir lieber.«
»Der Gott des Krieges«, bemerkte More. »So spricht ein wahrer Fürst. In letzter Zeit kommt er mir heller vor, zumindest mit bloßem Auge betrachtet. Darf ich?« Er deutete auf die größere Linse – diejenige, die man auf Armeslänge vor das Auge halten musste.
»Wenn Ihr den Stiel in das Loch am hinteren Ende des Brettes steckt und es dann schräg haltet« – ich zeigte es ihm –, »dann leistet es gute Dienste für die Sterne dicht über dem Horizont. Und man hat eine Hand frei.«
Er war entzückt von dieser neuen Erfindung.
»Was mag das Rote sein?«, sann er. »Was glaubt Ihr – gibt es rote Meere auf dem Mars?«
»Ja«, antwortete ich. »Höchstwahrscheinlich. Vielleicht brennt er auch mit roter Flamme. Oder er ist mit Blut bedeckt?«
Er seufzte. »Sich vorzustellen, dass es andere Welten gibt, die so ganz anders sind als die unsere … Manchmal vermag ich Gottes großes Universum in all seiner Tiefe nicht zu begreifen, nicht wirklich in meiner Seele zu begreifen. Kürzlich las ich von der Theorie eines Polen, derzufolge alle Planeten die Sonne umkreisen – er hat natürlich nicht veröffentlicht …«
»Es kommt uns nicht zu, mit unserem begrenzten Verstand zu ›begreifen‹. Wir sollen trachten, dem Herrn zu gehorchen, ganz gleich, auf welche Welt Er uns stellt«, sagte ich. »Freilich ist dies nicht immer so klar … Gott verwirrt uns, stellt uns auf die Probe.«
Ich zögerte. Aber der Augenblick war gekommen, der Augenblick, da ich reden musste. »Thomas, ich bin heute Abend nicht nur hier, um mit Euch die Eklipse zu betrachten, sondern auch, um Euch zu warnen. Ich weiß nicht, was Ihr so an weltlichen Dingen aus London vernehmt. Klatsch und Gerüchte sind keine Freunde der Wahrheit; sie verzerren sie. Aber ich sage jetzt die Wahrheit als Euer Freund, wenn ich Euch berichte, dass das Parlament Euch einen Eid zur Stützung seines Gesetzes über die Thronfolge abverlangen wird, eines Gesetzes, das just in diesen Tagen verabschiedet wird.«
»Worin wird dieser Eid bestehen?«
Wieder diese Frage.
»Es wird beschworen, dass man die Prinzessin Elisabeth für die einzige rechtmäßige Thronerbin hält. Dass man ihre Ansprüche gegen alle anderen unterstützen wird, sollte ich« – ich legte eine Pause ein –, »sollte ich plötzlich sterben.« Wie entlegen das klang, da ich nun hier auf der wackeren kleinen Mondplattform stand.
»Das ist alles?«
»Ja. Ich glaube. Vielleicht noch ein paar Worte des Inhalts, dass meine Ehe mit Königin Anne gültig ist, die mit Katharina hingegen null und nichtig …«
»›Ein paar Worte‹?« Er schlug mit beiden Händen auf das hölzerne Geländer. »Immer nur ›ein paar Worte‹! Ach, wären es doch viele – es wäre alles so viel leichter. Ein paar Worte. Gott, warum bist Du so grausam?«
Scharf klang seine Stimme durch die stille Luft; wie ein emporgestreckter Säbel klirrte sie gegen Gott.
»Aber es ist gleichgültig.« Rasch hatte sein Ton sich wieder beruhigt; er drehte sich um und sah mich an.
»Ich hoffe, Ihr werdet den Eid nicht verweigern«, sagte ich. »Denn dem Gesetz zufolge sind diejenigen, die ihn nicht leisten wollen, des Verrates schuldig.«
Sein Gesichtsausdruck – natürlich konnte ich es im Sternenlicht nicht genau erkennen – schien sich nicht zu verändern.
»Ich hielt es für besser, Euch zu warnen, damit Ihr Bescheid wisst, wenn man Euch auffordert, zu schwören«, fuhr ich fort. »Ihr schwört als Erster, danach Euer Haushalt. Es dauert nur ein paar Augenblicke. Es werden Kommissare zu Euch nach Hause kommen, auf Kosten der Krone. Man wird Euch gar nicht stören.« Es klang, als wollte ich mich entschuldigen. Das kam nicht infrage. »Also seht zu, dass Ihr den Eid schwört«, fügte ich hinzu.
»Und wenn mein Gewissen es mir verbietet?«, fragte er.
»Dann sterbt Ihr den Tod eines Verräters. Denn dann habt Ihr zugegeben, dass Ihr ein solcher seid. Dem Gesetz
Weitere Kostenlose Bücher