Ich, Heinrich VIII.
mindesten Sinn – außer dass es Anne glorifizierte und überdies andeutete, dass sie über einen Hofstaat von mondsüchtigen, zölibatären Jünglingen gebot. Wenn es nicht gleich darauf zu Ende gegangen wäre, hätte ich befohlen, aufzuhören.
Auf dem Rückweg nach York Place schalt ich sie. »Die Königin beteiligt sich nicht an Tableaux«, erklärte ich. »Es hat die Feier entwürdigt.«
»Inwiefern?« Sie richtete sich in der Sänfte auf. »Weil ich am Spiel teilgenommen und mich kostümiert habe? Welch größere Ehre könnte deinem Bastard –« – sie ließ vor und nach dem Wort eine Pause eintreten – »-sohn widerfahren?«
»Die Ehre, eine diskrete Stiefmutter zu haben, die sich angemessen benimmt.«
Bessie hätte sich so nicht aufgeführt, dachte ich. Bessie hatte sich als loyale und leidgeprüfte Gemahlin des schwachen Tailboy erwiesen. Ich wusste das, weil Cromwells Spitzel es mir berichtet hatten, und auch, weil ich Bessie kannte. Ich bewunderte sie in so vieler Hinsicht. Sie war nicht vom Norden heruntergekommen, um bei der Hochzeit zugegen zu sein, aber sie hatte einen perlenbesetzten goldenen Kelch mit Deckel als Geschenk überbringen lassen. Bessie schenkte Gold: Keusches Silber war nicht Sache dieser Frau, und sie bestärkte derlei auch nicht bei anderen.
»Du solltest entzückt sein, dass die Männer mich anziehend finden«, versetzte Anne.
»Nicht annähernd so anziehend, wie du dich selber findest«, fauchte ich. »Du bist Königin von England und meine Gemahlin, und nicht Thomas Boleyns Tochter, eine Hofdame, die an Tableaux teilnimmt und Schönlinge um sich schart.«
»Nur weil kein einziger Mann je Katharina den Hof gemacht hat!«
»Deine absurde Rivalität ihr gegenüber ist diesmal keine Ausrede! Katharina war von königlichem Geblüt, und sie wusste, wie eine Königin sich beträgt!«
»Und ich weiß es nicht?«, zischte sie, aufgerichtet wie eine Kobra, die sich anschickt zu beißen.
»Offensichtlich nicht«, antwortete ich.
Dennoch suchte ich in dieser Nacht ihr Bett auf. Ich begehrte sie wie noch selten zuvor. Ich wollte ihr den zarten Silberschleier herunterreißen, in ihre bewachte Kammer eindringen, ihren seltsamen, einsamen, eigenen Erotizismus durchbrechen. Anne, Anne …
LXII
I ch brauchte die Erinnerung an diese silbernen Stunden, als ich der harten, hässlichen Tatsache ins Auge schaute, dass Thomas More die Wintermonate von 1534 auf 1535 im Tower verbracht hatte, zusammen mit Bischof Fisher (der kurz nach ihm eingesperrt worden war). Sie waren in einem »wohnlicheren« Teil des Tower einquartiert, nicht in den Kerkergewölben ganz unten, wo ein rundes Dutzend widerspenstiger Mönche in Finsternis und tiefer Kälte schmachtete, angekettet und hilflos.
Nur drei Mönchsorden hatten sich dem königlichen Supremat widersetzt und den Eid verweigert: die Gehorsamen Franziskaner, eine Gruppe von äußerst frommen, öffentlich »predigenden« Brüdern; die Kartäuser, die besonderes Gewicht auf die individuelle Disziplin und auf das Gebet legten – weniger ein klösterlicher Orden als ein Kollektiv von Einsiedlern (natürlich der Orden, dem More beinahe beigetreten wäre); schließlich der Brigitten-Orden in Syon House.
Die Gehorsamen Brüder lagen mir besonders am Herzen. In ihrer Hauptkirche zu Greenwich war ich das erste Mal getraut worden, mit Katharina, und Maria wie Elisabeth waren dort getauft worden. Ich kannte die Mönche als gute und heiligmäßige Männer. Aber der Orden legte großen Wert auf das Predigen, und der Bruder Peto war es gewesen, der mich als »Ahab« bezeichnet hatte.
Die Gehorsamen Brüder waren stimmgewaltig, und ihren Predigten und Erklärungen lauschte man nicht nur in England, sondern auch im Ausland. Ich hatte die Pflicht, sie zum Schweigen zu bringen, und so brachte ich sie zum Schweigen. Im August 1534 gab es sieben Häuser der Gehorsamen Brüder mit insgesamt zweihundert Mönchen. Im Dezember gab es keines mehr. Indem sie sich weigerten, sich dem königlichen Supremat zu unterwerfen, hörten sie auf, als Orden in England zu existieren. Sie wurden in alle Winde zerstreut, ihre Klöster geschlossen. Das war alles.
Mit den Kartäusern war es eine andere Sache. Sie beharrten darauf, den irdischen Agenten Gottes wie denen ihres von Gott ernannten Königs allerlei Steine in den Weg zu legen. Sie kämpften, sie stritten, sie warfen uns auf alle erdenkliche Weise Knüppel zwischen die Beine – ganz wie ihre Heldin Katharina. Wie sehr sie
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