Ich, Heinrich VIII.
fassen können. Wie konnte sie davon wissen?
»Es gibt keine Änderungen an diesem Eid«, behauptete ich hartnäckig. Damit schien sie sich zufrieden zu geben – oder nicht?
»Ich weiß sehr wohl, dass du More liebst!«, brach es aus ihr hervor. »Und ich weiß, inwiefern und auf welche Weise! Auf eine unnatürliche Weise!«
»Unnatürlich?« Ihre kryptischen Anspielungen waren mir unverständlich.
»›Du darfst einem Manne nicht beiwohnen wie einem Weibe, denn das wäre ein Gräuel.‹ Leviticus, Kapitel achtzehn, Vers zweiundzwanzig.«
»Anne!«, rief ich aus. »Das ziemt sich nicht! Und wo hast du das Alte Testament gelesen?« Die Frage war in diesem Augenblick unwichtig – aber verstand sie denn so viel Latein?
»Es stimmt doch, oder?« Sie überging meine Frage. »Du hast ihm beigewohnt in den Wiesen deines Geistes, hast dort gespielt und dich vergnügt mit ihm, wo alle anderen ausgeschlossen waren. Hast dich nach seinem Beifall und seiner Liebe gesehnt, hast sie gesucht und danach geweint. Und noch jetzt, sogar jetzt, da er dir trotzt und dir deine Liebe ins Gesicht wirft, trachtest du danach, ihn milde zu stimmen und zu versöhnen! Einen besonderen Eid muss dein Liebling bekommen, handgemacht, maßgeschneidert, zärtlich zugeschnitten von seinem Liebhaber – dem König!«
»Ich bin nicht sein Liebhaber«, erwiderte ich.
»Wie schade!«
»Sein Liebhaber ist der Schmerz in Christi Gewand.« Und mit ihm wird er sich vermählen, und mein Henker wird ihm Priester sein, dachte ich.
»Höchst allegorisch«, erklärte sie naserümpfend. »Allerdings wird nicht recht klar, wie du deinen Geliebten aus der Grube zu erretten gedenkst, die er sich selbst gegraben, wie die Bibel sagt.«
»Es gibt nur eine Treppe, die aufwärts führt. Den Eid und bedingungslose Loyalität.«
»Nicht das Händchen, das der König eigens reicht? Im allegorischen Sinne?«
»Auf Allegorien solltest du dich wohl verstehen! Du inszenierst sie ja zur Genüge – fades, affektiertes Zeug, aber sei’s drum! Du als Göttin, umgeben von schmachtenden Stutzern! Gefällt sie dir, die Speichelleckerei? Behagen dir die künstlichen, falschen Verse und Komplimente? Bah, meine Dame – darüber war ich hinaus, als ich zwanzig war!«
»Da warst du auch schon seit drei Jahren König. Wenn ich erst drei Jahre Königin war, werde ich es dir vielleicht nachtun.«
»Nein, du wirst es mir gleich nachtun! Bald ist Fastenzeit, und dann werden diese ›Unterhaltungen‹ aufhören! Habt Ihr mich verstanden, Madam?«
»Allerdings.« Es gelang ihr, dieses Wort von Verachtung triefen zu lassen.
Immer öfter benahmen wir uns so, wenn wir zusammen waren: ätzend, voller Bitterkeit und Misstrauen, mit bröckelndem Respekt voreinander. Gleichwohl hörte ich nicht auf, sie zu begehren und mich nach ihrer Gegenwart zu sehnen, ohne zu wissen, warum. Sie quälte meine Seele, statt ihr Trost zu spenden.
In den nächsten paar Monaten wurde es klarer und klarer, dass den Eidverweigerern der Prozess gemacht werden würde. Zum Ende des Jahres 1534 erließ das Parlament ein weiteres Gesetz, die Suprematsakte, in welchem mein Titel als »Oberstes Haupt der Kirche Englands auf Erden« anerkannt sowie derjenige zum Verräter erklärt wurde, der »in bösartiger Absicht« versuchte, mich eines meiner rechtmäßigen Titel zu berauben. Nun waren die Männer im Tower auch unter diesem Aspekt zu beurteilen.
Bischof Fisher verhielt sich während der Haft still und versuchte nicht, freizukommen. Der Papst ernannte ihn in einer verspäteten Geste der Unterstützung zum Kardinal. Fisher kümmerte das nicht. Er war ein alter Mann, ein Auswuchs – gewissermaßen – meiner Großmutter Beaufort, und er hatte sich in der Welt, die seit ihrem Tode rings um ihn herangewachsen war, eigentlich niemals wohl gefühlt. Mit den Anfängen meiner »Großen Sache« (die von manchen zur »Scheidung« hochstilisiert worden war) hatte er Stellung gegen mich bezogen: In der förmlichen Verhandlung des Falles in Blackfriars hatte Warham eine Liste vorgelegt, welche die Unterschriften aller auf meiner Seite stehenden Bischöfe enthielt. Fishers Signatur war dabei gewesen. Da hatte er sich, hager und würdevoll, erhoben und erklärt: »Dies ist weder meine Unterschrift noch mein Siegel.« Warham hatte zugeben müssen, dass Fishers Name »hinzugefügt« worden war, aber nur, weil man es mit sicherer Überzeugung habe tun können. »Nichts«, hatte Fisher gegrunzt, »könnte weniger wahr sein,
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