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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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gleiche Weise zu sterben wie die Kartäuser.
    »Ich kann mir einen solchen Tod nicht vorstellen«, sagte Anne, als sie das Urteil gelesen hatte.
    »Verbrecher sterben für gewöhnlich so«, antwortete ich. »Wusstest du nicht, wie es vonstatten geht?« Jedes Kind in England hatte schon eine Hinrichtung gesehen. Tyburn, wo die Gemeinen gehenkt wurden, war ein beliebtes Ausflugsziel. Die Leute nahmen sich Speisen und Wolldecken mit und zwangen ihre Kinder, zuzuschauen, »auf dass du nicht auch dem Verbrechen anheim fallest«. Es war lehrreich. Ich hatte es immer bedauerlich gefunden, dass die Hölle nicht ebenso besichtigt werden konnte.
    »Nein. Ich habe noch niemals einer Hinrichtung beigewohnt. Ich möchte es auch nicht.« Sie war erregt.
    »Du solltest es vielleicht. Als Königin solltest du wissen, wozu wir die Schurken verurteilen.«
    »Es ist der Teil mit dem Feuer, den ich nicht ertragen kann!«, erklärte sie. »Verbrannt zu werden, berührt zu werden von diesem bösen, heißen, leckenden, verzehrenden Ding – oh, sie wussten genau, was sie taten, als sie die Hölle zu einem Ort der Flammen machten! Niemals wollte ich dorthin gehen, niemals, niemals …«
    »Dann sündige nicht, meine Liebste.« Ich lächelte. Abhilfe war jederzeit zur Hand: Wer nicht in die Hölle fahren wollte, wusste genau, was er tun musste, um es zu vermeiden. Es war für alles gesorgt.
    »Verschone Fisher!«, bat sie. »Lass nicht zu, dass die Flammen ihn berühren. Niemand verdient so etwas!«
    »Eine Unterschrift auf einem Stück Papier hätte es verhindert.«
    »Trotzdem …«
    Ich hatte die ganze Zeit über die Absicht gehabt, das Urteil umzuwandeln und ihm die schmerzlose Enthauptung zu gewähren. Aber Annes Ausbruch verblüffte mich. Er zeigte mir eine neue Seite an ihr.
    »Plagt dich diese Angst vor dem Feuer schon lange?«, erkundigte ich mich.
    »Schon immer. Seit meiner Kindheit, als in meiner Stube einmal ein brennendes Stück Holz aus dem Kamin sprang. Es landete nicht weit von mir auf einem Schemel. Es glomm und wurde immer matter. Während ich es beobachtete, schlief ich ein – und erwachte jäh vor den lodernden Flammen. Die schreckliche Hitze, das diabolische Grinsen des Feuers – ›Ich habe dich genarrt, und jetzt bist du mein …‹« Sie erschauerte. »Und das Knistern, das Schmoren …«
    »Sei nur ruhig. Fisher braucht es nicht zu fürchten«, begütigte ich sie.
    Und tatsächlich führte man Fisher auf ein ordentliches Schafott gleich außerhalb der Mauern des Towers. Er hatte immer schon asketisch und hager ausgesehen, aber die vierzehn Monate im Tower hatten seinen Kopf, wie Zeugen erzählten, in einen »Totenschädel« verwandelt. Er ging ruhig in den Tod und bestand darauf, sein bestes Hemd zu tragen, denn in diesem Gewande werde er ins Paradies eingehen.
    Damit hätte es gut sein müssen. Aber es war der Anfang einer neuen Kette von Herausforderungen für meine Regentschaft.
    Fishers abgehauener Kopf wurde, wie es Brauch war, in kochendes Wasser getaucht und dann auf der London Bridge auf einer Stange zur Schau gestellt. Das mittsommerliche Wetter war heiß und stickig; faulige Dünste stiegen von der Themse auf, die kraftlos gluckernd hin und her schwappte. Fishers Kopf (ohne den Kardinalshut – das wäre denn doch ein allzu makabrer Akzent gewesen) hätte verwesen und zu einem gräulichen Anblick werden müssen. Aber er tat es nicht. Stattdessen schien er zu leuchten, und von Tag zu Tag wirkte er lebendiger. Das Volk fing an, sich auf der Brücke zu versammeln; die Leute machten dem Schädel ihre Aufwartung, klagten ihm ihre Nöte …
    Sie baten ihn um seine Fürsprache.
    Fisher war im Begriff, ein Heiliger zu werden.
    Ich befahl, dem ein Ende zu machen. In der Nacht nahmen meine Diener den Kopf herunter und warfen ihn in den Fluss.

    Fishers Aufstieg zum Heiligen war vereitelt. Aber das Wetter und die Stimmung blieben hässlich. Pestilenzialische Dünste hingen in der Luft und infizierten die ganze Einwohnerschaft. Es wäre das Beste, More unverzüglich zu erledigen, damit die Sache ein Ende hätte. Wenn das geschehen wäre, könnte ich auf Staatsreise gehen, unter das Volk reiten, mit den Menschen sprechen, sie besänftigen. Sie brauchten mich.
    Eine unglückliche Trägheit hatte den ganzen Hof befallen, wie in jenen Zaubermärchen, in denen eine Hexe alles mit einem Bann belegt. Anne schien besonders davon betroffen zu sein; sie war abwechselnd nervös und apathisch. Andere gingen umher, als sei ihnen

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