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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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erholen, und, ja, Zeit zum Trauern. Ich hatte einen Verlust zu verschmerzen: Ich hatte mein Weib verloren, und meine Unschuld dazu.
    Schweigend ritt ich gen Westen. Die untergehende Sonne wärmte und tröstete mich, und ein Rastplatz zog mich an. Ich war müde und sehnte mich nach Ruhe.
    Am ersten Abend stiegen wir in Wokingham ab. Die Brüder in der Abtei von Reading waren tugendhaft (anders als die von St. Osweth!). Man gab uns ein behagliches, gemütliches Nachtquartier und ließ uns wissen, dass wir an der Komplet in der Kapelle teilnehmen könnten. Das taten wir, und mit tiefer Erleichterung stimmte ich in die Gebete ein. Sie baten mich, den Part des Vorbeters zu übernehmen, doch das lehnte ich ab. In meinem geistlichen Zustande war ich wenig geeignet, andere im Gebet zu führen.
    Die Nacht hatte sich über das kleine Kloster gesenkt. Stumm zogen sich die Mönche zum Schlafen zurück. Der Prior, Richard Frost, bedeutete uns, ihm zu folgen, und in unserem Quartier spendete er uns seinen Segen. Dann zündete er unsere Kerzen an, verneigte sich und war verschwunden.
    Eine einzige Kerze auf einem kahlen Tisch. Das war mein Licht, und so legte ich mich auf die Pritsche, auf der ich die Nacht verbringen würde, und zog mir die raue Wolldecke bis unters Kinn.
    Cromwell behauptete, Mönche seien schlecht, und alle kleinen Klöster seien verdorben, schlimmer noch als St. Osweth. Aber dieses hier war fromm und gut geführt. Dafür dankte ich Gott, selbst wenn es eine Ausnahme sein sollte, denn meine Seele schmerzte mich in meiner Brust. Ich weinte in dieser Nacht, weinte um Anne und um mich. Denn ich hatte sie geliebt, und ich hatte mich geirrt.

    Am Spätnachmittag des dritten Tages erreichten wir Wolf Hall, nachdem wir ein kleines Stück weit durch den Wald von Savernake geritten waren. Es war Parkland hier; der Wald war nicht so dicht, wie man vielleicht denken möchte, sondern durchbrochen von offenen Flächen, Gebüschen und Hecken. Wolf Hall, das auf einer Anhöhe stand wie eine Insel in einem Meer von Grün, war ein kleines, zum Teil aus Fachwerk bestehendes Herrenhaus.
    Das Hervorstechendste an diesem Anwesen war eine gigantische Scheune mit einem riesigen Taubenschlag. Das Haus erschien im Vergleich dazu winzig.
    Edward Seymour begrüßte uns mit geschürzten Lippen und geziemenden Manieren. Er erinnerte mich auf unheimliche Weise an Bischof Fisher. Beide waren mager, asketisch und beherrscht. Beide hatten forschende, kurzsichtige Augen. Beide sagten weniger, als sie dachten.
    »Wir heißen Euch willkommen«, sagte er. »Wir sind überwältigt von dieser Ehre.« Er ließ die Pferde versorgen und winkte uns, ins Haus zu kommen. Wir gelangten in einen dunklen Empfangsraum, vor langer Zeit gebaut, um Ritter in klobiger Rüstung aufzunehmen.
    »Meinem Vater geht es nicht gut«, sagte Seymour. »Im letzten Jahr ist er … Ich muss offen sprechen. Er ist wieder zum Kinde geworden.«
    »Das ist nichts Seltenes«, sagte Norris leise. »Mit meiner Mutter ist es auch geschehen. Es war … schmerzlich.«
    »Es ist betrüblich«, pflichtete Edward ihm bei. »Es bricht mir das Herz, wann immer ich ihn sehe. Ich denke immer noch, es ist etwas, das er steuern kann, etwas, das sich ändern könnte, wenn er es wollte. Aber mein Vater ist nicht mehr da, und an seinem Platz sitzt ein Kind, ein Schwachsinniger. Mein Kopf weiß, dass er es nicht mehr ändern kann, aber mein Herz weiß es nicht. Ich habe mich mit meinem Priester beraten …«
    »Hier am Ort?«
    »Aye. Es ist einer, der uns schon immer kannte. Und er sagt, manchmal lässt Gott uns wieder zu Kindern werden, bevor er uns heimruft. Aber darin liegt doch kein Sinn. Gott ist ein Gott der Schöpfung, nicht einer der Zerstörung. Ich kann es nicht verstehen.«
    »Ich auch nicht«, sagte ich. Gott hatte mich eine Hexe freien lassen und mir durch sie ein Kind geschenkt. Es war nicht so simpel, wie man es darstellte. Gott war launischer, der Teufel stärker.
    »Ihr werdet ihn beim Abendessen sehen«, sagte Edward. »Ihr werdet ihn sehen, wie er jetzt ist, und dann werdet Ihr Euch an ihn erinnern, wie er früher war.«
    Wie viel Schmerz und Veränderung würde ich noch ertragen können?
    Die Große Halle war eigentlich nur ein großes Zimmer mit einer Doppelreihe von Fenstern und ohne Galerie. Sie war offensichtlich ziemlich alt.
    Wir waren nur eine Hand voll, die sich in der Septemberdämmerung zum Essen setzte, und wir drängten uns um das obere Ende eines Tisches. Ich bekam

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