Ich, Heinrich VIII.
Hampton Court.
Würde ein Ding je wieder ein Ding sein, ein Gebäude wieder ein Gebäude, eine Farbe nur eine Farbe und nicht ein rotglühender Nagel der Erinnerung. Wenn die Dinge erst wieder wären, was sie waren, dann wäre der Schmerz halb ausgestanden.
LXVI
W ir kehrten in aller Stille heim, und ich gab keine Mitteilung an den Kämmerer der Königin. Der Einzige, den ich sehen wollte, und zwar sofort, war Cromwell. Cromwell und möglicherweise Cranmer. Aber Cromwell zuerst.
Wir kamen in seinem Londoner Stadthaus zusammen. Es war dem Hause der Augustiner-Brüder (das bald aufgelöst werden würde) benachbart, in angenehmer Nähe von York Place. Anders als alles, was Wolsey gehabt hatte, war es ein kleines, bescheidenes Haus. Cromwell gab niemals irgendwelche »Staatsempfänge«; es war eine absurde Vorstellung, er könnte als Gastgeber bei einem Bankett für Botschafter und Fürsten den Vorsitz führen. Er war wohl bekannt dafür, dass er zu tafeln wusste, und seine privaten Gäste erfreuten sich an schmackhaften Speisen und fesselnder Konversation – ähnlich wie es bei More der Fall gewesen war –, aber das alles in einem sehr traulichen Rahmen.
More. Die Erinnerung an More ergriff mich so schmerzhaft, dass ich stöhnte. Ich ließ mich von ihr überrollen, denn dann würde sie vorübergehen. Wenn nicht, würde sie niemals, niemals nachlassen. Das wusste ich, aber die Anfälle von Schuldbewusstsein und Trauer zehrten sehr an mir. Wir saßen in Cromwells Tagesstube, einem freundlichen kleinen Zimmer mit Blick auf den ummauerten Obstgarten. An drei oder vier Bäumen hingen schwere Äpfel, und die Blätter rings um sie herum waren gelb. Die anderen, Kirsch- und Birnbäume, waren schon leer gepflückt.
»Eine schöne Birnenernte gab es dieses Jahr.« Wieder nahm Cromwell meinen unausgesprochenen Gedankengang auf. »Der warme, klare Mai für die Blüte und dann all der Regen – genau das, was ein Birnbaum sich wünscht.«
Gut, dass Mores und Fishers verfluchte Regengüsse und Unwetter wenigstens zu etwas getaugt hatten. Für die Getreidefelder waren sie schlecht gewesen, und für die Menschen ebenfalls.
»Versucht ein wenig von seinem Elixier.« Cromwell reichte mir einen kleinen Silberbecher mit Perry, einem vergorenen Trank aus Birnensaft. Wir hoben einander die Becher entgegen und nippten dann daran. Das Getränk war von sanftem, delikatem Geschmack.
»Ja, der Regen hat ihnen gut getan.«
Er stellte seinen Becher ab und sah mich abwartend an; der Blick seiner schwarzen Augen war tief und verständnisvoll.
»Crum, ich habe die letzten zwei Wochen im Westen des Landes verbracht und dort gejagt.« Ich wusste, dass er es wusste – zweifellos hatte einer seiner Spitzel den Weg nach Wolf Hall gefunden –, aber es war höflich, es ihm von mir aus zu erzählen.
Er lächelte. »Und hattet Ihr eine gute Jagd?«
»Allerdings. Hasen, Hirsche, Rehe – Wildbret gab es jeden Abend, bis wir schier platzten. Ich hatte ganz vergessen, wie viel Spaß mir die Jagd macht. Ihr jagt doch auch, oder nicht, Crum?«
»Mit Falken, ja.«
»Ich höre, Ihr habt eine hübsche Sammlung von Falken. Wo haltet Ihr sie? Doch nicht in London?«
»In Stepney.«
»Wir müssen bald einmal zusammen auf die Beiz gehen.«
»Es wäre mir ein Vergnügen.«
Pause. Genug der Artigkeiten. »Aber zuvor müssen wir den Falken hinter verschlossenen Türen steigen lassen. Hier gibt es eine, die fliegt zu hoch, eine, die von vornherein gar nicht nicht hätte fliegen dürfen – eine, die heruntergeholt und fortgeschafft werden muss«, sagte ich. »Man muss sie rupfen und dann fortschaffen, hinaus aus den königlichen Schlägen.«
War da ein hauchfeines Zucken in seiner Lippe? Ein unterdrücktes Lächeln. »Die Königin fliegt sehr hoch«, sagte er – langsam, aber kühn nichtsdestominder.
»Ich habe die Macht, sie zur Erde zurückzuholen, wie ich sie zuvor habe erhöhen können. Ich will sie los sein, Crum, ich will sie los sein. Sie ist mir kein Weib.« Mehr als das wollte ich nicht sagen; es war nicht tunlich. Crum brauchte nur mit meinen Schlussfolgerungen vertraut zu sein, nicht mit den Beweggründen, die dahinter standen.
»Wollt Ihr sie fortschicken, oder soll sie Euer Weib nicht länger sein?«
»Sie soll mein Weib nicht länger sein. Das vor allem!«
Crum stand – mit meiner Erlaubnis – auf und begann, auf und ab zu gehen. Auf und ab, auf und ab auf dem polierten Holzfußboden seiner Stube. Am Fenster blieb er stehen, legte
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