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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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was er für mich getan hat, als ich ein Kind war. Nur wenige Kinder haben dieses Privileg.«
    Ein Privileg? Den Speichel von einem besabberten Kinn zu wischen? Einem erwachsenen Mann das Fleisch in kleine Bissen zu zerschneiden?
    »Seit wann ist er … nicht mehr er selbst?«
    »Seit mindestens zwei Jahren. Als ich das erste Mal zum Hofe kam, war er noch wie immer. Aber in meinem ersten Urlaub …«
    »Ihr wart schon vor diesem Jahr einmal am Hofe? Wart Ihr denn …?« Die heikle Frage war gestellt.
    »Ja. Ich war in Diensten der Prinzessin Katharina, in ihren letzten Tagen bei Hofe.« Ihre weiche Stimme ließ kein Zögern erkennen, als sie den Namen aussprach. Jane war kein Fähnchen im Wind, keine Treubrüchige. Sie schämte sich nicht, Katharina gedient zu haben.
    »Mein Bruder hat mich später wieder an den Hof gerufen. Ich war Kammerfrau der Königin, schon vor der Krönung. Aber … es wäre besser gewesen, wenn ich hier geblieben wäre, bei Vater.«
    »Warum?«
    »Weil er mich braucht.« Ein leichter Wind wehte sie an, hob ihre Röcke und lupfte ihre Haube. Er sollte ihr ein bisschen Farbe auf die Wangen blasen. Sie war viel zu blass. Lachend rückte sie die dünne Haube zurecht.
    Ihre Bewegungen … ihr Lachen … der leichte Akzent in ihrer Stimme … ich erkannte sie: das Mädchen, dem ich vor Annes Krönung im Vorzimmer begegnet war – das seltsame, mondbeschienene Mädchen.
    »Ihr seid eine treue Tochter«, sagte ich. Sir John war gesegnet. Hätte Maria das Gleiche für mich getan? Würde Elisabeth es tun, Halbhexe, die sie war?
    »Nicht treu genug«, antwortete sie. »Denn jeden Morgen und jeden Abend bete ich, er möge wieder werden, wie er war. Ich kann ihn nicht lieben, wie er jetzt ist. Ich habe es versucht, und ich kann es nicht. Ich will meinen Vater wiederhaben; mit dieser Hülse kann ich nichts anfangen!«
    »Und doch bedient Ihr ihn«, sagte ich staunend. »Haltet seine Hand, schneidet ihm sein Fleisch.«
    »Und wünsche mir, er wäre nicht das, was er ist«, ergänzte sie. »Was für eine Art Liebe ist das?«

    In den folgenden Tagen ging ich viel auf die Jagd, und wir taten uns jeden Abend an Rehbock, Hirsch, Hasen und Hindin gütlich. Am siebenten September las der Priester eine besondere Messe zum zweiten Geburtstag der Prinzessin Elisabeth, und alle beteten darum, dass ihr ein langes und gesundes Leben beschieden sein möge. Vor nur zwei Jahren hatte alles so anders ausgesehen. Ich hatte an Anne geglaubt, und der alte Sir John war noch er selbst gewesen. Jetzt sabberte er und klatschte in die Hände, als der Priester den Segen sprach.
    Und was tat Anne? Ich wollte es nicht wissen.
    Jane führte, wie ich bald begriff, den ganzen Haushalt. Sie umhegte und verzärtelte nicht nur Sir John, sondern beaufsichtigte auch die Dienerschaft, versorgte die Bienenkörbe, bekümmerte sich um die Milchkühe, und sie sortierte das Linnen, faltete es säuberlich und räumte es in die Schränke. Sie schnitt Kräuter und hängte sie zum Trocknen in die dunkle Wärme unter den Balken der alten Scheune, und wenn sie getrocknet waren, steckte sie kleine Sträußchen davon zwischen die gebleichte, gefaltete Wäsche. Das alles tat sie so still und seidig wie ein Mondstrahl, und sie ließ es einfach und mühelos aussehen.
    Ich fühlte mich zu ihr hingezogen, denn in ihrer Gegenwart empfand ich Ruhe und Geborgenheit – und beides hatte ich nicht mehr empfunden, seit ich Anne das erste Mal erblickt hatte. Auf eine wunderliche, milchweiße Art war sie ein Mittel gegen das Gift, das Anne mir verabreicht hatte.
    Ich suchte täglich ihre Gesellschaft, doch sie war schwer zu halten und entwich mir immer wieder. Ihre Pflichten riefen … Sir John brauchte sie … der Wind verwehte das Linnen, das auf der Wiese zum Trocknen lag … die Katze hatte sich im Baum verstiegen und miaute …
    Schließlich fand ich sie eines Nachmittags bei den Bienenkörben. Sir John hatte einen kleinen Bienenstock am unteren Ende des Obstgartens, und Jane schwenkte eine Rauchfackel vor einem der Körbe. Sie trug mächtige, dicke Lederhandschuhe und war von einem weißen Schleier verhüllt – seltsamer Abglanz eines Brautgewandes. Sie summte den Bienen etwas vor, sang ihnen ein Schlaflied. Ich stand hinter einem Birnbaum und beobachtete die wunderliche Zeremonie, denn was sich da zutrug, war seltsam. Das Gesumm im Bienenkorb war verstummt, als habe sie einen Zauber über die Insekten gesprochen. Behutsam hob sie den Deckel vom Rahmen, der sich

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