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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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im Korb befand, und nahm ihn heraus. Er war voller Waben und tropfte von Honig. Die Bienen hatten gute Arbeit geleistet. Sie schob einen leeren Holzrahmen hinein und sprach dabei sanft mit den Bienen.
    Dann wandte sie sich dem nächsten Bienenkorb zu; der weiße Schleier blähte sich wehend hinter ihr, und von ihrer Rauchfackel stiegen dicke graue Wolken auf, mit denen sie die Bienen einschläferte.
    Sie war Reinheit und Unschuld. Just als ich an diesen beiden verzweifeln wollte und schon glaubte, das Böse habe alles in seinem Griff, da war Jane hier, unversehrt und unbefleckt, weiß und makellos und einfach.

    Die Tage vergingen schnell – zu schnell. Sir John hatte einen prächtigen Hundezwinger: Greyhounds für die Jagd auf Reh und Hirsch, Harrier für Wiesel, Eichhörnchen und Hasen und Mastiffs für Ungeziefer wie Iltis und Hermelin. Es war beruhigend, im gelben Licht des Vormittags hinauszureiten und dem Wild nachzuspüren.
    So geradeaus und einfach, so offensichtlich, wer der Jäger war und wer der Gejagte. Sogar das Töten war sauber – keine Geständnisse, keine Begründungen, keine Schuld. Und hernach ein feines Essen. Unmöglich, sich zu fürchten oder an irgendetwas anderes zu denken als an den Augenblick, an Pfeil und Bogen und an das Ziel.
    Ich bekam keine Nachrichten in diesen bernsteingleichen Herbsttagen, und ich sandte auch keine ab. Ich wünschte mir nichts als den mählichen Trost eines jeden Sonnenaufgangs, eines jeden selbstgenügsamen Tages, während ich mich nach und nach an das gewöhnen konnte, was ich jetzt über Anne wusste, seltsam, wie rasch man sich an das Undenkbare gewöhnt, wenn das erste Entsetzen und Erschrecken verflogen ist.
    Als der letzte Tag meiner Jagd zu Ende ging und die Treiber dabei waren, die Strecke zum Häuten und Ausweiden zu sortieren, war mir, als hätte ich immer schon gewusst, dass Anne eine Hexe und vom Teufel erfüllt war, als hätte ich ihre zerstörerische Macht über mich und über die, die ich liebte oder brauchte, immer schon gefühlt und gefürchtet. Sie hatte ihr Schlimmstes getan, was Wolsey, More und meine Schwester Maria anging, und jetzt würde sie sich gegen Katharina wenden, gegen meine Tochter Maria, gegen Fitzroy … und vielleicht auch gegen mich. Vielleicht sogar gegen … Mary Boleyns Tochter Catherine? Alle, die sie im Verdacht hatte, meine Geliebten oder meine Kinder zu sein, mussten sie fürchten.
    Was würde ich bei meiner Rückkehr vorfinden? Wer würde »krank« geworden sein? Chapuys hatte von Gift geredet, und ich hatte seine Worte verächtlich abgetan und das Ganze für ein durchsichtiges Komplott gehalten, mit dem Katharinas und Marias politisches Exil beendet werden sollte. Dass Katharina darauf beharrt hatte, sich ihr Essen selbst zu kochen – vielleicht hatte ihr das bis heute das Leben gerettet. Was hatte Anne noch über Katharina gesagt? »Ich bin ihr Tod, wie sie der meine ist.« Ich bin ihr Tod … Ja, so wollte sie es.
    Aber wozu dienten alle diese Tode? War das Ziel die Auslöschung eines Lebens, irgendeines Lebens? Oder war es präziser zu fassen? Ging es nur um bestimmtes Leben?
    Die schönen Tage von Wolf Hall mussten zu Ende gehen, und ich musste nach London zurückkehren, nach Greenwich, wo Anne wartete. Ich musste mich ihrer entledigen, und ich musste es so tun, dass sie ihrer Macht restlos entkleidet war, und auch aller Gelegenheit, neue Macht zu erlangen.
    Der Ritt zurück zeigte mir mit schmerzhafter Klarheit, was es hieß, dass ich hunderte von leblosen Dingen mit Bedeutung erfüllt hatte. Auf der Flucht nach Wolf Hall war ich vor Entsetzen so verwirrt gewesen, dass ich rings um mich her nichts wahrgenommen hatte. Jetzt, da ich ruhiger war, sah ich alles.
    Der große runde Turm von Windsor kam in Sicht. Windsor, wo ich an einem Herbsttag wie diesem Anne zur Marquise ernannt hatte. Der Stolz, die Freude, die sie mir an jenem Tag bereitet hatte, hallten jetzt höhnisch von den alten Mauern wider.
    Die Greyhounds, die vor uns hersprangen … Annes Greyhound Urian hatte auf einem Jagdausflug einmal eine Kuh gerissen. (Urian! Einer von Satans Günstlingen! Ihren Hund hatte sie nach ihm benannt, und ich war so blind gewesen, dass ich nicht gesehen hatte, was es bedeutete.) Ich hatte dem Bauern eine Entschädigung bezahlt, entsann ich mich – so trunken von Liebe, dass ich es als Privileg empfand.
    Ein kleiner Schrein am Wegesrand. Eine Madonna in gelben Gewändern. Gelb wie Annes Kleid und die Blumen damals in

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