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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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Tode zwar Dispens von diesem Verbot; Katharina indessen – in deren Augen es niemals sein durfte, dass eine Regel sich menschlichen Bedürfnissen anpasste – untersagte es ihm und zitierte murmelnd uralte Autoritäten, die sich dagegen geäußert hatten. Sie bestand darauf, bis zum Morgengrauen zu warten.
    Gott gewährte ihr die Gnade und ließ es zu. Als der Morgen dämmerte, empfing sie das Sakrament, und dann diktierte sie zwei Briefe. Einer war für den Kaiser. Ich weiß nicht, was er enthielt. Der andere war für mich. Ich erhielt ihn ein paar Tage später.
    Sie lebte bis zwei Uhr am Nachmittag des achten Januar. Um zehn Uhr vormittags empfing sie die Letzte Ölung, und dann betete sie mit klarer Stimme bis zum Mittag für Maria, für die Seelen aller Menschen in England, und vor allem für »meinen Gemahl«.
    Katharina war tot. Katharina, die ein Teil meines Lebens gewesen war, ein Kontrapunkt, eine zweite Melodie meiner selbst, solange ich mich erinnern konnte. Ich war noch keine sieben Jahre alt gewesen, als ich gewusst hatte, dass die Prinzessin von Spanien nach England kam, um hier eines Tages Königin zu sein.
    Ich bemühte mich, nicht daran zu denken, wie sie damals gewesen war. Ich versuchte, nur das Bild des widerspenstigen, aufsässigen, Unruhe stiftenden alten Weibes vor meinen Augen zu behalten. Ihre geschürzten, verdorrten Lippen; die beständige gravitätische Empörung, die zwei parallele Falten zwischen ihre Augenbrauen gegraben hatte; ihren hässlichen hölzernen Kopfputz und ihre kastenförmige Gestalt, in grobes dunkles Wolltuch gehüllt.
    Ihre Vorträge über Moral, die mich in Raserei versetzt hatten; ihre politische Doppelzüngigkeit; ihre verräterischen Briefe an den Kaiser; ihre papistischen Komplotte und Vorlieben … die Liste war endlos.
    Doch ungerufen erschien das Bild der lachenden jungen Prinzessin mit Augen, die von Liebe und Lebensfreude funkelten; der Stolz der jungen Mutter auf Marias Fortschritte in der Musik; die eifrigen Bemühungen der jungen Gemahlin, mich zu erfreuen, mich zu unterhalten, mir zu gefallen, Silbermasken aufzusetzen und in der Dreikönigsnacht in ihren Gemächern mit mir zu tanzen, obwohl sie es für eine Albernheit hielt, und so zu tun, als erkenne sie mich nicht, als ich in einem Kostüm aus der Türkei zum Tanzen zu ihr kam …
    Sie war die Gemahlin meiner Jugend gewesen, und im Tode nahm sie dies mit sich. Diese verlorenen Tage leuchteten jetzt heller denn je zuvor.
    Ich trauerte um die spanische Prinzessin, zürnte darüber, dass ihr Leben, alles in allem, so traurig gewesen war. Jetzt war keine Hoffnung mehr, dass es sich bessern könnte, keine Hoffnung auf eine Änderung im letzten Augenblick. Sie war nun jenseits aller Änderungen.
    Was für einen Glauben hatte ich damals? Vermutlich war sie in eine andere Welt gegangen, wo solche Überlegungen beiseite geworfen wurden. Sie war verklärt und in einen geistigen Leib gehüllt, nicht mehr die spanische Prinzessin und auch nicht die verkrüppelte, kränkliche alte Frau, zu der sie geworden war; sie hatte sich neuerlich verwandelt, zu Glanz und Unsterblichkeit. Während ihr leiblicher Körper aufgeschnitten und einbalsamiert wurde, war die unsterbliche Katharina längst nicht mehr da; sie hatte nun einen Lohn empfangen, der alles übertraf, was ich ihr je hätte schenken können.
    Das glaubte ich … das glaubte ich …
    Aber wenn es nicht so war? Wenn es außer dem armen alten Leib nichts gab, dann war dies wahrlich ein grausamer Lohn. Ich weinte, allein in meinem Betstuhl in der königlichen Kapelle, erstaunt und ratlos über meine Tränen. Glaubte ich denn nicht? War mein ganzer Glaube hohl und wertlos? Meine Tränen verrieten es.
    Denn wenn die Toten nicht auferweckt werden, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Daraus folgt auch, dass die, welche in Christi Gefolgschaft gestorben sind, ganz und gar verloren sind. Wenn Christus uns nur für dieses Leben Hoffnung gegeben hat, dann sind wir unter allen Menschen die erbarmungswürdigsten.
    Ich sollte nicht über Katharinas bitteres Leben weinen, wenn ich wahrhaft glaubte, dass jedes Stückchen dieser Bitternis dem Herrn ein Wohlgefallen gewesen war und ihr nun ein Zehnfaches an Herrlichkeit und Ehre einbrachte.
    Also war ich ein Lügner, ein Heuchler. Nein, ich zweifelte nur. Das war ein Unterschied. Dies war ehrlich und menschlich, jenes nicht. Sogar Petrus hatte gezweifelt.
    Allmächtiger, ewiger Gott, bitte nimm mir diese Zweifel, denn sie

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