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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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Grauenhaftes darin, zum ersten Male die Worte eines toten Menschen zu lesen.
    Mein allerliebster Herr und König, mein Gemahl. Nun, da die Stunde meines Todes naht, bin ich durch die zärtliche Liebe zu Euch und angesichts des Zustandes, in dem ich bin, genötigt, mich Euch zu empfehlen und Euch mit einigen Worten an die Gesundheit und Unversehrtheit Eurer Seele zu gemahnen, die Ihr allen weltlichen Dingen solltet vorziehen, auch der willfährigen Sorge um Euer leibliches Wohl, um dessentwillen Ihr mich in mancherlei Nöte und Euch in großen Kummer gestürzt.
    Für meinen Teil vergebe ich Euch alles, und ich bete ergeben zu Gott, dass auch Er Euch vergeben möge. Im Übrigen lege ich Euch unsere Tochter Maria ans Herz, und ich beschwöre Euch, dass Ihr ein guter Vater möget sein, wie es bis heute mein Wunsch gewesen. Ich bitte Euch zudem namens meiner drei Zofen, dass Ihr ihnen ein Heiratsgut lasset zukommen, was nicht viel ist, denn es sind nur drei. Für den Lohn meiner anderen Diener komme ich auf, und auch noch für ein weiteres Jahr, wo sie nicht versorget sind.
    Endlich will ich noch geloben, dass meine Augen Euch ersehnen vor allen anderen Dingen.
    Ich war wie betäubt. Ihr letzter Satz … Ich hatte Bibelworte erwartet, Gebete, lateinische Formeln. Aber das alles lag hinter ihr; ihre Kraft reichte nur noch, ihre wahren Gedanken zu Papier zu bringen. Sie hatte sich vor allem anderen danach gesehnt, mich zu sehen? Also hatte die junge Prinzessin noch bis zum Schluss in der alten Frau gelebt? Alles, was wir sind, lebt fort in uns, und nichts löscht das andere aus … Schmerz erfüllte mich: Denn der junge Heinrich in mir hätte ihr vor allem anderen diesen Wunsch erfüllt.
    Ihr Testament, das folgte, zeigte wenig irdische Sorgen. Sie wollte in einem Kloster begraben sein. Sie wollte, dass Maria den goldenen Kragen bekomme, den sie »aus Spanien mitgebracht« hatte. Sie wollte, dass ihre Diener den rückständigen Lohn ausbezahlt bekämen und eine besondere Vergütung dazu. Sie wollte, dass aus ihren Kleidern Kirchengewänder gemacht würden.

    Die Trauerfeier am Hofe sollte am zwanzigsten Januar stattfinden. Cranmer würde die Gebete für die Seele der Verstorbenen sprechen. Es war bis jetzt der kälteste Tag dieses Winters, rau und windig, und stechender nasser Schnee wehte von Westen heran. Schon am frühen Nachmittag war es so düster, als senke der Abend sich herab.
    Anne und ihr Gefolge waren nicht zugegen. Der Betstuhl der Königin war leer. Aber ihre Abwesenheit war schmählich für sich selbst, nicht für Katharina.
    Auf dem Rückweg von der Kapelle zum Palast sah ich durch die dichte blaue Dunkelheit, dass Annes Gemächer hell erleuchtet waren, auch ihr Audienzsaal mit dem Thron. Die funkelnden Lichter spotteten unser und all der schwarz gekleideten Menschen hier unten, die Katharina die letzte Ehre erwiesen hatten.
    Ich ließ nicht erkennen, dass ich es bemerkte, um den Skandal nicht zu vergrößern. Aber als der Hofstaat seiner Wege gegangen war und ein jeder sich in seine Gemächer zurückgezogen hatte, ging ich zu Anne und verlangte Einlass. Ihr Kämmerer ließ mich eintreten. Er war festlich angetan.
    Von drinnen hörte ich Musik, und ich sah Bewegung. Es wurde getanzt.
    »Eure Majestät, die Königin hat die Ehre Eures Besuches nicht erwartet.«
    »Das sieht man.« Ich schob ihn beiseite und ging langsam in den geräumigen Saal hinaus, in dem tausend Kienspäne brannten und eine ganze Gesellschaft von Herren und Damen sich im Tanze drehte. Alle waren gelb gekleidet, in einem hellen Zitronengelb, und im Mittelpunkt standen Anne und ihr Bruder George; sie sahen aus, als wären sie in Gold getaucht oder von Midas selber angefasst worden.
    »So«, sagte ich ruhig; aber dieses eine Wort und die Anwesenheit von trauerndem Schwarz genügte, um aller Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Sie hörten auf zu tanzen, und die Musik erstarb.
    Anne kam mir stolz entgegen, und alle beobachteten sie.
    »Du bringst Schmach über dich selbst«, sagte ich, ohne erst zu versuchen, meine Stimme zu senken. »Dein Frohlocken über Katharinas Tod offenbart nur, wie boshaft und seicht du selber bist.«
    »Frohlockst du nicht genauso? ›Gott sei gepriesen, denn nun sind wir sicher vor all der Kriegsdrohung‹ hast du gesagt, als du die Kunde bekamst.«
    Ich hatte es gesagt – aus Gründen der politischen Zweckdienlichkeit, um den Papst wissen zu lassen, dass er vorläufig gescheitert sei. Ich hatte es im Herzen nicht so

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