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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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schwarzes Haar und ihre sahnig weiße Haut betonte; und so groß war ihre Macht, dass ich mich, als ich an ihrer Seite saß, einige Augenblicke lang bemühte, zu glauben, dass sie unschuldig verleumdet worden sei, so liebreizend sah sie aus, so weit weg von allem, was krankhaft war. Aber ich wusste, was ich wusste.
    Wir sprachen nicht miteinander. Beide winkten wir den Zuschauern und den Teilnehmern zu. Die Sonne strahlte über den Platz und funkelte auf den Rüstungen der Ritter. Wie gern wäre ich unter ihnen gewesen, statt in der Zuschauerloge eingepfercht zu sitzen.
    Annes Liebhaber ritten bei allen Wettkämpfen mit. Ich beobachtete sie aufmerksam aus den Augenwinkeln, um zu sehen, wie sie sich ihnen gegenüber benahm. Von Weston und Brereton nahm sie keinerlei Notiz – die armen Burschen! Ob sie wussten, wie gering sie von ihr geachtet wurden? –, aber bebend vor Aufmerksamkeit beobachtete sie ihren Bruder George, der sich recht wacker schlug. (Nicht meisterlich, aber jedenfalls passabel.) Dann nahm Norris seinen Platz ein; er ritt gegen Francis Bryan. Bevor er begann, vollführte er die gebräuchliche Verneigung vor der königlichen Loge.
    Plötzlich beugte Anne sich vor und ließ ganz unverhohlen ihr Taschentuch fallen. Er hob es auf, küsste es, strich sich damit über die Stirn und reichte es ihr zurück. Ihre Hände berührten einander liebkosend.
    Diese Unverschämtheit war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sie war so dreist, so himmelschreiend, dass ich es nicht ertrug. Die Beleidigung war zu groß.
    Ich erhob mich und sagte leise zu Anne: »So, Madame. Ihr werdet Euren Lohn bekommen.« Ich sah sie ein letztes Mal an. Ich sollte sie auf dieser Erde nicht wiedersehen.
    Ich verließ die königliche Loge und ließ Cromwell wissen, dass ich unverzüglich zum Schloss zurückkehrte. »Verhaftet sie, sobald dieser Tjost vorüber ist«, befahl ich. »Und säumt nicht länger.«
    Dieses Taschentuch war die letzte Freiheit, die Anne sich dank meiner Torheit, sie geliebt zu haben, herausnehmen würde. Nur eine Kleinigkeit ist nötig, der Liebe vollends den Garaus zu machen; aus Gründen, die nur Gott weiß, vermögen Scheußlichkeiten es nicht. Ein spitzengesäumtes Taschentuch bewirkte, was nicht einmal Smeatons Geständnis ganz und gar – das heißt, in jedem Winkel meines Wesens – vermocht hatte.
    Norris war nicht geritten. Er hatte sich seiner Rüstung entledigt und hatte den Platz schnurstracks verlassen, um mir nachzueilen. Er holte mich ein, bevor ich Westminster sehen konnte, und zügelte kühn vor mir sein Ross. Ich würdigte ihn keines Blickes.
    »Eure Majestät, Ihr seid erzürnt über mich«, sagte er.
    Ich gab keine Antwort.
    »Ich bitte Euch, sagt mir, wie ich Euer Missfallen erregt habe, sodass ich es wiedergutmachen kann.«
    »Das Taschentuch …«, begann ich. »War es nötig, mich derart zu verhöhnen? Oder war es ihr Werk?«
    »Gott ist mein Zeuge: Ich verstehe Euch nicht.«
    »Hört auf, Euch zu verstellen!«, zischte ich. »Ihr seid der Liebhaber der Königin. Ich kenne die Wahrheit, und Ihr werdet dafür sterben.«
    »Aber das ist nicht wahr!« Seine Stimme hob sich voller Entsetzen. »Es ist nicht wahr! Nie habe ich Euch mit der Königin betrogen, nicht in Gedanken und nicht in Taten!«
    »Kommt, Norris. Sie hat uns alle betrogen; Ihr seid nicht allein.« Auch er war ja ein Opfer. »Gesteht, und Ihr sollt frei sein.« Es war mir plötzlich ernst. Wie sollte ich ihn für einen Fehler bestrafen, den ich genauso begangen hatte?
    »Gesteht die Wahrheit!«, wiederholte ich. »Soll doch wenigstens einer mir die Wahrheit ins Gesicht sagen!«
    Die ganze Wahrheit und die halbe Wahrheit waren ungleiche Geschwister. Ich wollte nicht, dass er den Vorwurf bestritt, denn ich wusste, die physischen Fakten waren nicht zu bestreiten; aber er sollte es irgendwie wiedergutmachen, er sollte die blanken Tatsachen eingestehen und ihnen zugleich eine Deutung geben, mit der ich leben und mich abfinden könnte. Ich wollte, dass es milder und einfacher war, als es klang, und vielleicht war es das ja auch, aber ich brauchte seine Hilfe, wenn es so werden sollte …
    »Es ist einfach nicht wahr, Eure Majestät.«
    So hatte es keinen Zweck. Norris, du hast es getan, aber du musst doch Gründe gehabt haben, bitte erkläre sie mir, bitte gib dieser Sache einen Klang von Ehre und Sauberkeit durch deine bloße Anwesenheit … deine Beteiligung …
    »Gesteht! Gesteht, und Ihr seid frei, es wird Euch

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