Ich, Heinrich VIII.
Backenstreich schnitt mir das Wort ab.
»Arthur ist tot, und du lebst!«, schrie er »Ich hasse Gott! Ich hasse Ihn! Ich verfluche Ihn!«
Fast rechnete ich damit, dass nun der Teufel in der kalten Kammer erscheinen und den König fortschleppen würde. Die Priester hatten mir erzählt, dies widerfahre jedem, der Gott beschimpfte oder verfluchte. Aber es geschah nichts. Auch daran sollte ich mich später erinnern …
Plötzlich stürzte die Königin – ich hatte sie im Dunkel des Gemachs noch gar nicht gesehen – zu uns herüber. »Aufhören!«, befahl sie. »Wie könnt ihr es wagen, über Arthurs Grab zu streiten und einander zu beleidigen?« Ihr Gesicht war nass, das Haar hing schlaff herunter, aber ihre Stimme war hart und kraftvoll.
»Er hat mich beleidigt! Und Gott«, fügte ich fromm hinzu.
Ich glaubte, sie werde nun den König schelten, aber stattdessen wandte sie sich gegen mich. Alle wenden sie sich gegen mich, dachte ich erbost, und plötzlich war ich dessen müde …
»Du wirst König werden, Heinrich. Fühlst du dich nun sicher, hast du Wohlgefallen an dir selbst, da du der Thronerbe bist? Aber nichts könnte verhindern, dass du ebenfalls in die Grube fährst. Thronerbe zu sein, ist kein Schutz. Es hebt dich hervor unter allen anderen.« Sie kam näher und schaute mir zornig in die Augen. Ihre eigenen hatten fast die Farbe des Zwielichts; ein Teil meiner selbst bemerkte es und prägte es sich ein. »Jetzt wird der Tod auch dich haben wollen. Es gelüstet ihn nach Erben. Sie sind seine Lieblingsspeise. Jetzt hat er dich in seinem Mastgehege. Ist das dein Triumph?« Mit wenigen Worten gelang es ihr, solche Furcht in mir zu wecken, dass die Geschichte meiner Regentschaft widerhallen sollte von meinen Versuchen, sie zu vertreiben.
Dann wandte sie sich an den König, dem sie sich immer ehrerbietig gefügt und vor dem sie immer geschwiegen hatte. »Ihr seid wahnsinnig vor Schmerz«, sagte sie trocken. »Ihr meint nicht, was Ihr da sagt. Es ist nicht Eure Absicht, Heinrich zu beleidigen, Euren einzigen Sohn. Ihr meint es nicht so.«
Er nickte dumpf.
Als zweitgeborener Sohn und zukünftiger Priester hatte ich die Kammer des Königs betreten; als Thronerbe und künftiger König verließ ich sie. Wollte ich sagen, dass von jetzt an alles anders war, würde ich sagen, was jeder Dummkopf weiß. Man würde annehmen, ich spräche von Äußerlichkeiten: von den Kleidern, die ich trug, von meinem Quartier, von meinem Studium. Die größte Veränderung aber war eine unmittelbare, und sie war bereits geschehen.
Als ich die Kammer verließ, hielt einer der Wachsoldaten mir die Tür auf und verbeugte sich. Er war sehr groß; ich reichte ihm kaum bis zur Schulter. Als er sich aufrichtete, sah ich, dass sein Blick mich auf eine höchst beunruhigende Weise fixierte. Es war ein kurzer Augenblick – aber in diesem Augenblick sah ich Neugier – und Angst. Er hatte Angst vor mir, dieser große, starke Mann, Angst vor dem, als der ich mich vielleicht erweisen würde. Denn er kannte mich nicht, und ich war sein zukünftiger König.
Niemand bei Hofe kannte mich. Ich sollte diesem Blick wieder und wieder begegnen. Wer ist er? Müssen wir ihn fürchten? Schließlich machte ich es mir zur Gewohnheit, niemandem mehr geradewegs in die Augen zu schauen, um dort nicht wieder diese mit Furcht gepaarte Wachsamkeit zu sehen. Es war weder gut noch beruhigend, zu wissen, dass ich durch meine bloße Existenz das geordnete Muster im Leben anderer bedrohte.
Sie kannten Vater gut und hatten Arthur daher fünfzehn Jahre lang beobachtet, sich an ihn gewöhnt. Heinrich aber war der Unbekannte, der Versteckte …
Der Mann lächelte falsch. »Euer Gnaden«, sagte er.
Das Lächeln war schlimmer als der Ausdruck in seinem Blick, wenngleich das eine zum anderen gehörte. Ich machte eine steife kleine Handbewegung und wandte mich ab.
Niemand würde je wieder aufrichtig und offen zu mir sein. Das war die große Veränderung in meinem Leben.
Natürlich gab es noch andere Veränderungen. Ich musste jetzt am Hofe und beim König wohnen; ich musste meinen geistlichen Lehrer gegen einen Botschafter im Ruhestand austauschen. Es gab auch angenehme Veränderungen: Ich durfte mich jetzt im Tanzen üben und bekam sogar einen französischen Tanzmeister, der mir vorzuführen hatte, was gerade Mode war am Hofe, dort, wo alles elegant und vollkommen war (wenn man ihn reden hörte). Ich hatte eigene Sänger und einen neuen Musiklehrer, der mich in
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