Ich, Heinrich VIII.
Untertanen.«
»Sehr gut, Prinz Heinrich. Ich glaube gar, Ihr habt gelernt – neben Eurer Froissart-Lektüre.« Er streckte die Hand aus und knuffte mich scherzhaft. »Als Nächstes besprechen wir die Pläne Ferdinands und die Geschichte des Papsttums. Papst Julius spielt eine wichtige Rolle in all dem, wisst Ihr. Anscheinend will er höchstselbst demonstrieren, was Christus meinte, als er sprach: ›Nicht den Frieden zu bringen, bin ich gekommen, sondern das Schwert.‹ Lest weiter in den Aufzeichnungen, die ich Euch gegeben habe, und lest auch alle Briefe in der roten Tasche. Sie enthalten die Korrespondenz, die ich in den Jahren in Frankreich führte.« Steif stand er auf. Er tat, als wären wir am Ende der Lektion angelangt, aber ich merkte, dass es ihm in Wahrheit nur zu ungemütlich wurde. Das Feuer war fast erloschen, und wir konnten unseren Atem sehen.
»Ich vergaß«, sagte er. »Morgen ist St. Martin. Es findet also kein Unterricht statt.«
Das war eine Enttäuschung. Mir schien, dass alles, was wir anfingen, durch eine beständige Folge von Heiligenfesten unterbrochen wurde. Es gab mehr als hundert davon im Jahr. Wieso konnte man die Heiligen nicht einfach ehren, indem man zur Messe ging? Wieso verlangten sie, dass auch noch alle aufhörten zu arbeiten?
»Und, Euer Gnaden – bitte sagt der Königin, wie glücklich mich die Neuigkeit macht, und dass ich um eine gute Entbindung und einen hübschen neuen Prinzen bete.«
Er verneigte sich und hastete hinaus, zurück in eine normale Wärme und zu den Menschen. Aber das machte nichts; ich hätte ihn nicht fragen können, wenn er geblieben wäre. Niemals würde ich meinen Lehrer fragen, weshalb er etwas wusste, was ich nicht wusste. Der König hatte mir nichts davon erzählt, und die Königin auch nicht. Warum nicht?
Ich ging zum Fenster. Der Regen war zu Graupel geworden; es prasselte gegen Mauern und Fenster. Das Fenster war schlecht eingepasst; feine Schneeregenstäubchen fanden ungehindert den Weg herein.
Das Fenster blickte nicht auf den Palastgarten hinaus, sondern auf die Abwassergräben und Latrinen. Ich hasste all diese hässlichen, verstreuten Anhängsel des Palastes, vor allem die offenen, stinkenden Abzugsgräben. Wenn ich König wäre, würde ich sie abdecken lassen. Wenn ich König wäre …
Der peitschende Graupel hatte die Hütten bereits bedeckt und machte sie weiß und glatt. Aber nicht hübsch. Sie waren nicht hübscher als ein Skelett, und das war auch weiß und glatt.
Ein heftiges Frösteln trieb mich vom Fenster zum erlöschenden Feuer.
VII
E s stimmte, was Stephen Farr gesagt hatte. Die Königin, meine Mutter, war schwanger. An Lichtmess, im Februar 1503, kam sie nieder, aber sie ward nicht von einem Thronerben, sondern von einer toten Tochter entbunden. Sie selbst starb neun Tage später an ihrem siebenunddreißigsten Geburtstag.
Noch heute muss ich eilends über diese Fakten hinweggehen, sie einfach konstatieren, weil ich sonst stocke und – tobe? Weine? Ich weiß es nicht. Beides, vielleicht.
Die Staatstrauer dauerte viele Tage, derweil die Bildschnitzer hastig an der gebräuchlichen Begräbnisstatue arbeiteten, die oben auf dem Trauerwagen stehen würde. Sie musste ihr aufs Haar ähnlich sein, sodass es aussähe, als wäre sie noch am Leben, in ihre Gewänder und Pelze gekleidet, wenn der Leichenzug sich durch die Londoner Straßen vom Tower, wo sie gestorben war, nach Westminster schlängelte, wo man sie bestatten würde. Das Volk musste seine gute Königin noch einmal sehen, musste dieses letzte Bild im Gedächtnis behalten. Auch der letzte Eindruck war wichtig. Das wollte ich Farr gern sagen.
Aber ich würde sie nicht wiedersehen. Nie, nie, nie mehr … Und als ich das hölzerne Bildnis sah, da hasste ich es, weil es so lebendig wirkte und es doch nicht war. Sie hatten gute Arbeit geleistet, die Bildschnitzer. Zumal da sie von einer Totenmaske hatten arbeiten müssen, nicht nach dem Leben. Aber sie war ja auch erst siebenunddreißig Jahre alt gewesen und hatte nicht daran gedacht, für ihr Begräbnisbild Modell zu sitzen. Nein, das doch nicht.
Ich hörte den König weinen, spät in der Nacht. Aber er kam nie zu mir in meine Kammer, versuchte nie, seinen Schmerz mit mir zu teilen. Noch nahm er den meinen zur Kenntnis, abgesehen von der kurzen Mitteilung, dass wir alle an den Bestattungsfeierlichkeiten teilzunehmen hätten.
Der Tag der Beerdigung war kalt und neblig. Die Sonne kam nicht zum Vorschein, aber sie
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