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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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sollte ich den Eindruck verändern, den ich auf Fremde machte? Wenn mir das nicht einmal bei meinem Vater gelang?
    Er hatte sich abgewandt und war zum Fenster gegangen. Er kam mir alt und müde vor. Sein Mantelsaum strich raschelnd über das Reisig am Boden. Am Fenster blieb er stehen, und seine Schultern hoben sich in einem Seufzer. Es war ihm nicht zu verdenken. Der Novemberregen hatte eingesetzt, und die Tropfen prasselten gegen die kleinen Glasscheiben. Sein Rücken war rund; ich hatte vergessen, wie alt er war.
    Plötzlich fuhr er herum und war wie neugeboren. Sein Gang war verändert, beinahe beschwingt, und er hielt den Kopf hoch erhoben. Als ich ihn so sah, vergaß ich den November und dachte an Sommer und Sonne.
    »Habt Ihr gesehen?« Er blieb vor mir stehen. »Es liegt alles in der Haltung, im Auftreten. Schauspieler wissen das. Ein anderes Gewand, eine gebeugte Haltung, und aus dem Jüngling wird ein Greis, aus dem Bettler ein König. Es ist einfach: Wollt Ihr König sein, benehmt Euch wie ein König.«
    Er setzte sich neben mich und warf einen Blick zur Tür. »Und jetzt, fürchte ich, wird gleich der König hereinkommen und sehen, dass wir ein wenig im Rückstand sind.« Er schien verlegen über das, was er da gerade gesagt hatte; offenbar sollte ich es so schnell wie möglich wieder vergessen.
    »Habt Ihr gelernt, was ich Euch aufgetragen hatte?«, erkundigte er sich.
    »Jawohl«, antwortete ich. Ich schaute hinüber zum Kamin. Gern hätte ich noch ein Scheit aufs Feuer gelegt, denn meine Finger waren eiskalt. Aber es war kein Holz mehr da. Vater gewährte uns bis zum Neujahrstag nur sechs Scheite pro Tag, ganz gleich, wie scheußlich das Wetter sein mochte. Ich blies mir in die Hände. »Zuerst Frankreich. Es gibt sechzehn Millionen Franzosen. Sie sind das mächtigste Land in Europa. Noch zu der Zeit, da mein Vater im Exil lebte, war die Bretagne ein unabhängiges Herzogtum. Aber als König Charles VIII . im Jahre 1491 Anne von der Bretagne heiratete, wurde sie ein Teil Frankreichs. Die Franzosen sind unsere Feinde. Unser großer König Heinrich V. eroberte fast ganz Frankreich …«
    »Nicht ganz Frankreich, Euer Gnaden«, mahnte Farr.
    »Dann fast die Hälfte«, räumte ich ein. »Und sein Sohn wurde in Paris zum König von Frankreich gekrönt! Und ich werde dieses Land zurückerobern!«
    Er lächelte nachsichtig. »Und wie viele Engländer leben im Reich?«
    »Drei Millionen. Dreieinhalb Millionen!«
    »Und sechzehn Millionen in Frankreich, Euer Gnaden.«
    »Was kümmern mich Zahlen? Ein Engländer ist zwanzig Franzosen wert! Ihnen graut vor uns. Ja, französische Mütter ängstigen doch ihre Kinder, indem sie mit les Anglais drohen!«
    »Und englische Mütter schrecken ihre Kinder mit dem Butzemann.«
    »Wir haben immer noch Calais«, beharrte ich.
    »Wie lange noch? Es ist ein unnatürlicher Vorposten.«
    »Es ist ein Teil von England. Nein, ich gedenke zu erfüllen, was mir Vermächtnis ist! Ich werde Frankreich zurückgewinnen.«
    »Habt Ihr wieder diesen Froissart geschmökert, Euer Gnaden?«
    »Nein!«, sagte ich, aber das war gelogen, und er wusste es. Ich liebte diese Geschichten von Rittern und ihren Damen und vom Kriegshandwerk, die ich spätabends las, nicht selten, wenn ich eigentlich längst schlafen sollte. »Nun ja … vielleicht ein bisschen.«
    »Ein bisschen ist schon zu viel. Stopft Euch nicht den Kopf mit solchem Zeug voll. Es ist albern und, was noch schlimmer ist, gefährlich. Jeder englische König, der heutzutage versuchen wollte, Frankreich zurückzuerobern, würde sein Leben und das Staatsvermögen aufs Spiel setzen – und sich der Lächerlichkeit anheimgeben. Das Erste und das Zweite kann er vielleicht riskieren. Das Dritte aber niemals. Nun denn, habt Ihr Euch die Landkarte Europas eingeprägt?«
    »Ja. Die Franzosen haben die Bretagne geschluckt und sich an Burgund gemästet. Und Maximilian, der Kaiser …«
    »Wovon?«
    »Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches.«
    »Welches weder heilig noch römisch noch ein Reich ist«, ergänzte er beglückt.
    »Nein. Es ist lediglich ein zusammengewürfelter Haufen deutscher Fürstentümer unter einem Joch mit den Niederlanden.«
    »Aber Maximilian hat zwanzig Millionen nominelle Untertanen.«
    »Geeint durch nichts«, plapperte ich wie ein Papagei.
    »Genau.« Er war zufrieden. »Und Spanien?«
    »Ferdinand und Isabella haben die Mauren vertrieben, und Spanien ist wieder christlich. Sie haben acht Millionen

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