Ich, Heinrich VIII.
tot. Tot. Man hatte sie heute Nachmittag in ihr Grab gelegt. Später würde Vater ein Denkmal an der Stelle errichten. Das hatte er gesagt.
Niemand war da, der mich hören oder hindern konnte, und ich weinte –
zum letzten Mal als Kind.
VIII
W ie passend war es daher, dass die nächste Veränderung in meinem Leben etwas mit dem Erwachen meiner Mannbarkeit zu tun hatte.
Wir hatten Greenwich verlassen und waren zurück in Vaters neues Prunkstück gezogen, nach Richmond, wo er die nächsten paar Wochen zu verbringen gedachte, um auf besseres Wetter zu warten und die Reichsgeschäfte zu führen. Jedes Mal, wenn ich hinkam, fiel mir etwas anderes auf. Jetzt sah ich, dass er den Steinfußboden mit blank polierten Holzdielen hatte belegen lassen. Das war eine beträchtliche Verbesserung. Und die neu getäfelten Holzwände waren dem altmodischen blanken Mauerwerk weit überlegen. Es würde angenehm sein, hier auf den Frühling zu warten.
Aber noch umschloss Eis die kahlen Äste der Bäume, als Vater mich in sein »Arbeitsgelass«, wie er es nannte, kommen ließ. Es war ein kleiner, getäfelter Raum neben seinem Schlafgemach mit einem eigenen Kamin, der aber wie gewöhnlich so kärglich mit Holz gespeist wurde, dass er seinen Zweck kaum erfüllen konnte. Ich zog immer einen Rock an, wenn ich die Nachricht erhielt, dass der König mich sprechen wolle.
Er blickte kaum auf, als er mich hereinkommen hörte. Er beugte sich über einige Papiere, die auf dem flachen, zernarbten Tisch, der ihm als Pult diente, säuberlich ausgebreitet waren. Ich hatte stumm dazustehen, bis er meine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen geruhte.
Schließlich tat er dies, indem er murmelte: »Wieder eine Bittschrift namens der verfluchten Vagabunden!« Er schüttelte den Kopf und wandte sich unvermittelt an mich. »Und was sagst du dazu? Genauer gefragt: Was weißt du davon?«
»Wovon, Sire?«
»Von den Armengesetzen!«
»Von welchen?« Es gab so viele.
Er hob die Hand und deutete auf sein Ohr.
»Das gegen Quacksalber und Wahrsager? Bei ihrem zweiten Vergehen wird ihnen ein Ohr abgeschnitten. Beim dritten verlieren sie auch das andere.« Ich musste an die Waliserin auf Arthurs Hochzeitsfeier denken; ich fragte mich, ob sie ihre Ohren noch hatte.
»Aber was ist, wenn der … Wahrsager ein Geistlicher ist und behauptet, seine Offenbarungen seien ihm von Gott eingegeben? Was ist dann?«
»Es käme ganz darauf an, welchen Inhalts seine Offenbarungen wären.« Ich hatte es sarkastisch gemeint, aber der König nickte zustimmend.
»Du überraschst mich«, stellte er schnippisch fest. »Ich hätte gedacht …«
Das Erscheinen eines Beamten aus einer der benachbarten Städte unterbrach ihn. Wenn Vater am Hofe war, hielt er dienstags so etwas wie eine Sprechstunde ab, und heute war Dienstag.
Der Mann kam herein und schleppte etwas hinter sich her. Es war ein großes, zerrissenes Netz. Kummervoll hielt er es in die Höhe. Offenbar erwartete er, dass der König bei dem Anblick nach Luft schnappe. Der aber grunzte nur.
»Nun?«
»Euer Gnaden, seht nur, in welchem Zustand dieses Krähennetz ist!«
»Es taugt nicht dazu, etwas zu fangen, das kleiner ist als ein Bussard. Habt ihr viel Kummer mit Bussarden bei euch daheim?«
»Wir brauchen neue Krähennetze, Euer Gnaden. Wenn wir dieses Jahr aussäen …«
»Dann kauft euch welche«, sagte er knapp.
»Das können wir nicht! Nach dem Gesetz muss jede Stadt brauchbare Krähennetze schaffen, um damit Raben, Krähen und Dohlen zu fangen. Aber wir können es nicht, wegen der Steuern, die erhoben wurden – und wir können uns auch nicht leisten, dem Krähenfänger seinen gewohnten Lohn zu geben, und so …«
»Beim Blute Gottes!« Der König sprang auf und sah sich vorwurfsvoll um. »Wer hat diesen Bettler hereingelassen?«
Der Mann sank inmitten seines Krähennetzes auf die Knie.
»Jawohl, Bettler!«, donnerte der König. Es erstaunte mich, wie laut er sprechen konnte, wenn er wollte. »Wo ist dein Erlaubnisschein? Deine Bettellizenz? Du brauchst nämlich eine, denn du bettelst außerhalb deiner Stadtgrenzen. Erwartest du etwa, dass ich für eure verfluchten Krähennetze aufkomme? Die Steuern wurden von allen meinen Untertanen erhoben! Beim Blute Gottes, jahrelang habe ich euch Schonung gewährt!«
Der Mann raffte sein ausgebreitetes Netz zusammen wie eine Frau, die vor dem nahenden Gewitter ihre Wäsche einsammelt. »Jawohl, Euer Gnaden …«
Der König schleuderte ihm eine Münze entgegen. »Die
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