Ich, Heinrich VIII.
zu vertreiben. Vorläufig behielten wir unsere Reisemäntel an. Ich nahm meinen Platz am Kopfende des Tisches ein und wartete schweigend.
Cromwell erschien. Mit erstauntem Gesicht betrat er die Kammer. »Euer Gnaden, geehrte Herren des Rates …«, begann er; er suchte Zeit zu gewinnen, während er ergründete, was hier vor sich ging, um es dann desto besser zu beherrschen.
»Ich mag sie nicht!« Ich befreite ihn von seiner Ratlosigkeit und von der Notwendigkeit einleitender Nichtigkeiten. Da stand er, der Mann, der für alles verantwortlich war. Mein Feind.
»Wie bitte?«
»Die flandrische Mähre! Die Lady von Kleve – ich mag sie nicht, ich finde sie widerlich, sie ist ein Gräuel mit Haube! Und Ihr wollt, dass ich sie heirate, Ihr wollt, dass ich mit ihr das Lager teile, Ihr wollt, dass ich sie zu einer Tudor mache und sie krönen lasse! Das Weib ist abscheulich, sie ist eine bestialische Missgeburt …«
Cromwell krauste erzürnt die Brauen. »Oh, Euer Gnaden! Zu denken, dass man uns so getäuscht hat!« Er wandte sich an den Admiral. »Ihr habt sie doch gesehen, Ihr habt sie an der Grenze von Calais in Empfang genommen, habt sie begrüßt mit Angehörigen des Königlichen Haushalts, mit Lords und Gentlemen, mit zweihundert Wachsoldaten in blauem Samt und rotem Satin und mit Matrosen – Ihr habt gesehen, dass sie nicht war, wie man sie geschildert hatte. Warum habt Ihr sie nicht zu Calais … eingepfercht und unseren obersten Herrn und König, unseren guten König Heinrich, davon in Kenntnis gesetzt, dass sie nicht so war, wie man sie uns dargestellt hatte?«
Fitzwilliam, der Admiral, war erschrocken. »Dazu war ich nicht befugt«, winselte er. »Es wäre unbotmäßig gewesen. Ich hatte den Auftrag, sie zu empfangen und sicher nach England zu geleiten, und das habe ich getan, und alles andere wäre Verrat gewesen.«
Cromwell schnaubte. »Aber in Euren Briefen an Seine Majestät habt Ihr gelogen! Nachdem Ihr das hässliche Weib gesehen, schriebt Ihr von ihrer Schönheit. War das keine böswillige Irreführung Eures Königs?«
»Ich habe nie behauptet, ich selber fände sie schön! Ich habe nur die Meinung anderer wiederholt, die auf ihre Schönheit schworen. Niemand kann mir vorwerfen, dass ich sie nicht kritisierte, zumal da die Auffassung von Schönheit sich von Betrachter zu Betrachter wandelt – und ich glaubte ja, sie werde binnen kurzem meine Königin sein.«
»Genug davon! Ihr alle habt mich in die Irre geführt!«, schrie ich. »Jetzt müsst Ihr das Unrecht, das Ihr getan, eben ungeschehen machen. Ihr werdet Mittel und Wege finden, mich von dieser Verlobung zu befreien – mir ist es gleich, was für Mittel und aus welchen Gründen, aber es wird geschehen. Wo nicht, wird jemand teuer dafür bezahlen, dass man einen Narren aus mir gemacht hat!«
»Wir werden einen technischen, einen juristischen Grund finden«, sagte Cromwell geschmeidig. »Sendet nach Osliger und Hostoden, die Gesandten des Herzogs von Kleve. Die beiden haben sie nach England begleitet.«
Während man nach den unglückseligen Deutschen schickte, nahm Cromwell Platz und begann, mit den Fingern auf dem Tisch zu trommeln und laut zu denken. »Juristisch – was wäre ein juristischer Grund? Eine Krankheit, welche Nachkommenschaft verhinderte – doch das setzt vollzogene Fakten voraus. Nein, wir brauchen etwas wirklich Wasserdichtes. Blutsverwandtschaft? Zu weit hergeholt. Ein bereits bestehender Vertrag? Sie hat keinen; wir haben es nachgeprüft. Keine Jungfrau? Schwer zu beweisen. Skandalöses Verhalten? Unangenehm. Außerdem haben wir dergleichen schon einmal vorgebracht; es weckt üble Erinnerungen. Fällt auf den König zurück. Nein, es wird der Sachverhalt eines schon bestehenden Vertrages sein müssen. Das ist öde und langwierig, aber etwas anderes haben wir nicht. Und es hat nichts zu tun mit dem Charakter oder mit persönlicher Vorliebe oder Abneigung.«
Die kleveschen Gesandten versicherten, ihre Funktion missdeutend (so gut spielte Cromwell seine Rolle), weitschweifig, dass es keinen Vertrag mit älteren Rechten gebe.
»Ach, dieses Kindheitsverlöbnis zwischen unserer Herrin von Kleve und dem Herzog von Lothringen – das war bloß eine eingeschränkte Vereinbarung zwischen den Eltern der beiden Parteien«, erklärte Hostoden, der aussah wie ein großer, rotgesichtiger Bürgermeister.
Die beiden grinsten einmütig, als hätten sie es geprobt. »Der formelle Widerruf liegt beglaubigt beim Kanzleigericht zu Kleve
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