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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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Wahl hatte, und glühend vor Scham hatte ich es ihr als Geschenk dargebracht, als vollkommenen Beweis meiner Hingabe.

XCII
    J etzt war nichts mehr zu tun, als zu warten, bis Brandon und Wyatt die Nachricht überbracht hätten. Nur noch wenige Stunden, bis es vollendet wäre – des Königs »Große Sache«, gezähmt und in eine Kleinigkeit verwandelt.
    Ich legte meinen Staatsmantel ab (den ich tragen musste, wenn ich zum Rat sprach), und in meinem leinenen Hemd fühlte ich mich frei. Es war Juni, die Sonne stand schon hoch am Himmel, und es war warm. Ich wusste, ich war außerstande, im Hause zu bleiben und mich Staatspapieren und Korrespondenzen zu widmen, wenngleich einiges zu beantworten war. Ich würde einen Gang durch die Gärten hier zu Hampton machen. Wolsey war in einem solchen Maße an der Gärtnerei interessiert gewesen, dass er einen Gartenbaukünstler eingestellt hatte. Anne (die Verfluchte) hatte Beete mit Blumenzwiebeln angelegt, in jenem langen Frühling, da sie zu Hampton gewartet und ich es nicht über mich gebracht hatte, zu ihr zu kommen, weil mir ihre Gegenwart so abstoßend gewesen war. Eigentlich hätte Hampton inzwischen prachtvolle Gärten haben müssen. Heute wollte ich sie mir ansehen.
    Ich verließ die königlichen Gemächer durch die Tür bei der Treppe, und kurz darauf befand ich mich in dem formellen Bereich vor dem Großen Labyrinth. Ein Labyrinth wurde erwartet, ja verlangt. Jeder formell angelegte Garten musste ein Labyrinth haben, damit Burschen und Mädchen mindestens eine Viertelstunde damit verbringen konnten, sich in ihm zu verirren, nach dem Zentrum zu suchen (was ihnen Gesprächsstoff gab) und dann unbeobachtet ihrem Treiben nachzugehen. Ich wollte heute vom Labyrinth nichts wissen. Ich nickte dem Labyrinthgärtner und seinem Gehilfen zu und machte mich auf den Weg zur Südseite des Geländes, wo die großen Panoramen angelegt waren.
    Nicht weit vom Palast selbst lag ein versunkener Garten, umgeben von einer Ziegelmauer. Die Mauer hatte ich von meiner Galerie aus schon oft gesehen, mich aber nie weiter darum bekümmert, was dahinter lag. Dass die Sonne darauf fiel, wusste ich, und das war alles.
    Jetzt betrat ich den verborgenen Ort und war geblendet. Auf ordentlichen Beeten blühten Rosen mit einer solchen Last von Blüten an ihren Stielen, dass es schien, als wollten ihre Zweige knicken unter so viel Farbe, Gewicht, Verschwendung. Die von Süden und Westen her beschienenen Mauern waren eine einzige Masse von Kletterrosen; vor jedem Ziegelstein waren an die zwanzig Blüten ausgebreitet. Alle zusammen auf einen Blick betrachtet, waren ihre Farbe »rosé« – jenes süße Erröten irgendwo zwischen Rot und Weiß. Als mein Auge sie alle zugleich erfasste, war »rosafarben« plötzlich kein Adjektiv mehr, sondern ein sinnliches Erlebnis.
    Es widerstrebte mir, den Bann zu brechen, und ich trat mitten zwischen die Sträucher. Jetzt, da ich näher kam, sah ich die zarten Variationen: wie eine weiß war, eine andere grau überstäubt. Wie sich sogar die Dornen unterschieden. Einige waren dreieckig, mit geschwungener Schneide und einem Haken, und andere waren geradlinig, als seien sie nicht mit dem Herzen bei ihrem Geschäft des Fleischzerreißens. Die Kletterrosen, das sah ich, als ich mich der südwärts gewandten Mauer näherte, hatten die zahmsten Dornen von allen. Behutsam berührte ich einen und fühlte, dass er weich war. Ich fühlte auch die Wärme, die von den nach Süden blickenden Ziegelsteinen ausstrahlte. Hier war es so warm wie im Lande der Ungläubigen – wo die Rose der Legende nach ihren Ursprung hatte.
    Ein alter Gärtner kauerte zwischen den Sträuchern und häufelte aus einem Ledereimer, den er bei sich trug, Mist auf ihre Wurzeln. Als ich näher trat, sah ich, dass die Rosenbeete kaum merklich ihre Farbe änderten und von einem reinen Rot zu einem blasseren Perlmuttschimmer wechselten. Die drei Sträucher, an denen der Mann arbeitete, trugen Blüten, die im Herzen blassgelb waren und deren äußere Blätter rot leuchteten.
    »Meister Gärtner!«, rief ich. Langsam richtete er sich auf, er war steinalt. Sein Gesicht war so welk und runzlig, dass es schwer fiel, die Augen zu entdecken, und ein großer Hut überschattete das ganze Antlitz. Aber seine Ohren waren offenbar in Ordnung.
    »Eh?«
    »Steht dieser Garten in deiner besonderen Obhut?«
    »Aye. Seit zwanzig Jahren.« Er deutete auf die Mauern mit den Kletterrosen. »Die habe ich gepflanzt, als sie noch

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