Ich, Heinrich VIII.
Taktgefühl war vollkommen; meine Darbietung war makellos. Ich landete nach jedem Sprung haargenau im richtigen Augenblick und stand starr und mit ausgebreiteten Armen. Applaus, wie ihn die Etikette gebot, erfüllte meine Ohren. Und als ich dastand, die Pantoffeln hauteng an den tadellos postierten Füßen (und keine Nässe darin), hörte ich, wie die Uhr Mitternacht schlug.
»Weihnachten – Weihnachten geht zu Ende«, klagte der Phallus. »Nun müssen wir unsere Kostüme beiseite legen und unser Alltagsleben wieder aufnehmen.« Er riss seine Kopfbedeckung herunter, diese schamlose, runde Schwellung. Es war Tom Seymour. Die Gesellschaft sah es sprachlos.
Der von der Seuche gezeichnete Franz I. nahm seine Maske ab. Bischof Gardiner!
Als ich an der Reihe war, schälte ich behutsam die silberne Maske vom Gesicht. »Ich, Balthasar, König aus dem Morgenlande, war einen Abend lang glücklich unter Euch. Nun muss ich wieder in die Finsternis zurückkehren und dort meiner neuerlichen Auferstehung harren.« Die Leute klatschten und taten, als seien sie überrascht. »Doch ein Geschenk, eine Überraschung ist noch zu enthüllen«, verkündete ich. »Nämlich dieses.« Ich hielt eine mit Samt ausgeschlagene Schatulle in die Höhe, in der eine erst vor zwei Wochen geprägte Goldmünze lag. »Ein goldener Sovereign zu Ehren meiner geliebten Königin Catherine. Auf der einen Seite ist ihr Bildnis, auf der anderen das Siegel Englands mit ihrem Motto, dem Motto, das ich ihr gegeben: Rutilans rosa sine spina. Die Rose ohne Dorn.«
Jetzt senkte sich echte Stille über die Gesellschaft. Eine besondere Münze zur Ehre der jungen Gemahlin zu prägen … ein solches Zeichen der Liebe raubte ihnen allen die Sprache. Auch Catherine.
»Oh, Eure Majestät …« Ihre Stimme erstarb.
Ich umfasste ihre Taille. »Nimm die Maske ab«, befahl ich.
Sie gehorchte steif. Sie löste die Maske vor ihren Augen und sagte leise: »Ich verkleidete mich als die, die ich nicht bin – als Jesabel.« Mit zitternden Fingern griff sie nach der Ehrenmünze. »Danke«, flüsterte sie.
Es dauerte mehr als zwei Stunden, bis alle demaskiert waren, und nach den ersten paar Augenblicken wurde es ermüdend. Aber es war ein Bestandteil des Festes und gehörte dazu, und ich wollte niemanden darum betrügen. So stand ich da, als dürstete ich danach, die Identität eines jeden Einzelnen zu erfahren, und ich lachte so laut wie alle anderen.
Aber als es geendet hatte, war es nach zwei, und mein Eifer war verflogen. Mein Geist wollte mit Catherine ins Bett gehen, aber mein Körper ließ mich im Stich und schrie nach Schlaf, Ruhe, Heilung. Die Pflicht verlangte, dass ich die Große Halle als Letzter verließ, und meine Pflicht versäumte ich nie.
Dann wankte ich ins Bett, allein, in den frühen Morgenstunden zwischen der Zwölften Nacht und dem Heraufdämmern der Alltagswelt.
C
I ch schlief ein paar Stunden lang unruhig, wühlte zwischen zerdrückten Laken und zerknüllten Decken. Als ich schließlich wieder aufrecht saß, fühlte ich mich nicht ausgeruht. Ganz im Gegenteil. Einen klareren Kopf hätte ich gehabt, wäre ich die ganze Nacht aufgeblieben.
Ich schaute zu meinem Bein hinunter; es war noch immer mit dem seidenen Verband umwickelt. In der Nacht hatte ich versäumt, ihn abzunehmen. Jetzt tat ich es, und ich erwartete, dass er von Flüssigkeit durchtränkt an dem widerlichen Krater darunter festkleben werde. Zu meiner Überraschung war er trocken, und er blieb es auch, als ich die Seide Schicht um Schicht entfernte. Die Ränder der Wunde waren trocken und heilten.
Ich hatte das Verlangen, darauf zu spucken, mitten auf das verkrustete Geschwür. Jetzt trocknete es ein! Warum nicht vor einer Woche? Ich hasste das Ding mit einem Hass, den man sich nach Auffassung der Theologen allein für den Bösen bewahren soll.
Am Nachmittag drängten sich im Innenhof die Menschen, die ihre Pferde für die Heimreise sattelten. Der Himmel war klar. Das war ein Segen, denn so würden sie unversehrt heimkehren können. Es war ein Verlust und eine Erleichterung zugleich, sie gehen zu sehen.
Kaum waren die letzten Wagen hinausgerumpelt, rief ich den Geheimen Staatsrat zu einer Sitzung zusammen. Mehr als einen Monat lang waren keine Geschäfte geführt worden. Freilich gab es im Winter auch weniger zu erledigen. An sämtlichen Höfen Europas gab es um die Weihnachtszeit diese einmonatige Unterbrechung. Weder Kuriere noch Gesandte oder Spitzel konnten mühelos über die
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