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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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Sommer werden, mit einem Meer von Wiesenblumen und dem charakteristischen Duft von wildem Thymian in der Luft.
    Jählings fühlte ich mich splitternackt, vom Tode entkleidet. Die ganze Zeit über hatte er rings um mich her Menschen gepflückt, aber die Zweige hatten so viele getragen, dass ich ihm seinen Tribut nicht missgönnt hatte. Der Weg allen Fleisches, hatte ich heuchlerisch bei mir gemurmelt – in dem Wissen, dass er sich eine gewisse Quote genommen hatte und dass ich – und die, die mir lieb waren – noch eine Weile verschont bleiben würden. Nun, inzwischen hatte er seine Liste abgearbeitet, und wir standen an erster Stelle.
    Ich kehrte in meine Gemächer zurück, setzte mich hin und starrte finster zu Boden. Ich wollte allein sein, und ich wollte nicht allein sein. Für diese Stimmung gab es nur einen einzigen Menschen: Will.
    »Du hast mich rufen lassen?«
    Ich vermochte kaum aufzublicken. »Ja. Ich brauche dich.« Noch nie hatte ich diese Worte zu einem Menschen gesagt.
    »Ich bin hier. Was bedrückt dich?«
    Da erzählte ich es ihm. Wie der Tod mich und die, die ich liebte, bei der Kehle hatte. Wie ich seine Finger an der Luftröhre fühlte, dass ich kaum noch atmen konnte. Ich zählte die auf, die er sich schon geholt hatte, und die, die er just in diesem Augenblick an sich nahm.
    »Ich fühle ihn auch«, gestand Will. »In letzter Zeit spüre ich, dass irgendetwas in meinem Körper chronisch in Unordnung ist. Es kommt nicht mehr vor, dass er ganz und gar funktioniert. Immer gibt es einen Teil, den ich schonen muss, irgendetwas, auf dessen Heilung ich warte. Das ist entmutigend. Wir sind nicht mehr das, was wir einmal waren. Aber das ist kein Zeichen dafür, dass der Tod bevorsteht. Es zeigt nur, dass uns ein langes Leben geschenkt ist. Auch der Tod derer, die wir lieben, zeigt uns nur, dass wir verschont werden. Wenn Philosophen die Möglichkeit eines langen Lebens diskutieren, sagen sie immer, dass alte Menschen sich nach dem Tode sehnen, weil sie einsam sind, nachdem sie alle überlebt haben, mit denen sie verbunden waren. Wie kommt das? Warum sind sie so einsam? Es sind noch ebenso viele Leute da wie in ihrer Jugend. Aber es scheint, dass die Fähigkeit, starke Bande zu knüpfen, in einem bestimmten Alter schwindet. Verbundenheit entsteht in der Jugend, und wenn wir Glück haben, hat sie bis ins hohe Alter Bestand.«
    Ich nickte. Brandon. More. Meine Schwester Maria. Bessie. Will selbst. Aber Catherine, meine süße Catherine … sie liebte ich, und das war etwas Neues. Ich war immer noch fähig, neue Bande zu knüpfen. Ich war noch nicht über dieses Stadium hinaus.
    Ebenso plötzlich war meine unglückliche Stimmung verschwunden, und dieses melancholische Gerede ärgerte mich. Ich dachte damals nicht daran, den Ursprung meiner Empfindungen zu ergründen. Ich war traurig gewesen, weil Bessie, die Liebe meiner Jugend, nun starb, aber ich war entrüstet, als Will andeutete, dass meine Fähigkeit, zu lieben und geliebt zu werden, sich allmählich erschöpfe. Denn da war das Problem Catherine Howard und wie sie sich in all dies fügte.

CI
    N ur wenige Stunden später lag ich auf den seidenen Laken des großen königlichen Bettes und vergnügte mich mit Catherine. Ich hatte die bestickten Brokatvorhänge ringsum zugezogen, und wir konnten spielen, wir seien in einem Zelt in den Ebenen Frankreichs. Das Kerzenlicht sprang auf und ab in den ziellosen Strömen der Luft, die unter den Vorhängen hereinwehte, aber das machte alles nur umso gespenstischer und unwirklicher – ein Spielhaus für Erwachsene …
    Catherine kicherte, als ich ihren Hals berührte. Ich strich über Kurven und Mulden und fühlte, dass ihre Haut glatt und feucht war. Wie konnte das sein, in diesen trockenen Wintertagen?
    »Zu Neujahr bekam ich eine Creme aus Syrien«, erzählte sie, als habe sie meine Gedanken gelesen. »Sie war aus Substanzen gemischt, die wir hier in England nicht haben.«
    »Wer war denn in Syrien?«, erkundigte ich mich unwillkürlich. Niemand trieb heutzutage offen Handel mit den Ungläubigen.
    »Francis Dereham«, sagte sie lachend. »Er war eine Zeit lang Pirat in der Irischen See. Piraten ›handeln‹ mit jedermann.«
    Ich runzelte die Stirn.
    »Mein Cousin«, flüsterte sie und kitzelte mich mit der Zungenspitze im Ohr. »Du erinnerst dich.«
    »Er sah aus wie ein Pirat«, grunzte ich. Sie erregte mich, und ich wollte nicht erregt werden. Noch nicht, jedenfalls. »Er ist doch nicht hier? Er und

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