Ich, Heinrich VIII.
gefrorenen, aufgebrochenen Straßen reisen, und eine Seereise wäre jedenfalls schiere Torheit gewesen. Einen Krieg zu führen war auch unmöglich; alle Feldzüge mussten bis Oktober beendet, Schlachten mitten im Kampf abgebrochen werden. Nichtsdestoweniger musste man sich um manche Dinge kümmern, und dazu wurde es nun Zeit.
Mit langen Gesichtern kamen sie einer nach dem anderen in die Ratskammer geschlurft, die während der Festtage eine jungfräuliche Unberührtheit bewahrt hatte. Paget, der Ratssekretär, brachte sein Schreibwerkzeug mit, säuberlich untergebracht in einem Etui aus Aalhaut.
»Ein Neujahrsgeschenk?«, fragte ich ihn.
Er nickte und lächelte. Es war ein überaus passendes Geschenk für einen Sekretär des Rates.
»Nun, meine ehrenwerten Herrn«, begann ich und lehnte mich, auf die Fingerknöchel gestützt, über den Eichenholztisch. »Ich wünsche über die Lage außerhalb unserer kleinen Welt in Hampton Court in allen Einzelheiten unterrichtet zu werden.« Ich nickte Norfolk zu. »Ihr seid der höchste Edelmann hier und wart zuletzt als Botschafter im Ausland; so sprecht. Welche Neuigkeiten habt Ihr von unseren Gesandten?«
Er erhob sich, den hermelingefütterten Mantel (uralt; der Pelz färbte sich gelblich) eng um den Hals gezogen. »In Frankreich ist es ruhig.« Er intonierte es wie einen liturgischen Gesang. »Franz ist fiebrig und rastlos. Karl wird von allen Seiten bedrängt; sein absurdes Reich steckt voller Probleme. Es war ja von Anfang an eine unvernünftige Konstruktion, einer Laune Karls des Großen entspringend. Nun muss Karl V. den Vorsitz bei seiner Auflösung führen.«
»Einzelheiten, Norfolk«, ermahnte ich ihn. Ohne einen Cromwell, der die Leute bei der Sache hielt – o Gott, wie sie abschweiften. Cromwell …
»Die lutheranische Revolte nimmt ihren Fortgang«, berichtete er. »Die gesamten Niederlande und halb Deutschland haben sich verführen lassen. Die andere Hälfte des Reiches wehrt sich wie ein Mann, der von der Pest befallen ist. Die Ketzereiausbrüche sind die schwarzen Pusteln, die den ganzen Organismus schwächen und auslaugen. Spanien ist der Mund des Patienten, in welchen man die Medizin – den orthodoxen Katholizismus – in hohen Dosen gießt, um sie zu bekämpfen. Aber ach! sie verbrennt nur den Mund – wie die Inquisition ganz Spanien mit Blasen überzieht –, ohne die Beulen selbst zu attackieren.«
»Meine Güte, was für poetische Analogien. Jetzt begreife ich, woher Euer Sohn seine wilden Ideen und fantastischen Metaphern bezieht. Und da hielt ich Euch für einen harten, nüchternen Soldaten. Aber was ist mit den Schotten? Ihr habt gegen sie gekämpft; Ihr kennt sie besser als irgendjemand sonst. Was berichten unsere Spione dort?«
»Der Norden spottet Euer«, antwortete er schlicht. »Er ist ein Verräternest, das Ihr wieder und wieder säubern müsst.« In seinen Augen tanzte es. Er liebte es, Schotten zu töten – über den Tweed zu setzen, ihre schlichten Häuser niederzubrennen und die Menschen in Angst und Schrecken zu stürzen. »Aber mit dem Kaiser haben sie nichts zu tun«, musste er zugeben. »Im Augenblick stehen sie mit keinem der Feinde Eurer Majestät im Bunde.«
»Darf ich etwas sagen?«, fragte höflich der junge Lord Clinton, strotzend vor Kraft und Tüchtigkeit. Ich erteilte ihm das Wort. Er stand langsam auf, und als er sich erhoben hatte, beherrschte seine körperliche Gegenwart den Tisch – bis zu den Grenzen meiner Gegenwart; die überschritt er nicht.
»Ich bin in Lincolnshire geboren und aufgewachsen«, begann er. »Ein Nordmann des Reiches. Ihr wisst nicht, keiner von Euch, was es bedeutet, ein Nordmann zu sein. Wir nehmen unseren Lebensunterhalt und unser Selbstverständnis aus den Mooren und den wilden Bergen, weit weg von London und dem höfischen Leben. Wir sind konservativ, sagt man. Die Menschen, die an der Grenze leben, sind immer konservativ. Sie glauben an Werwölfe und an Heilige. Bei ihnen gibt es keine Halbheiten. Percy of the North – aus Northumberland, um genau zu sein – wurde Hotspur genannt, ›der Heißsporn‹. Wir sind entweder heiß oder kalt, und unsere Treue währt ein Leben lang. Wir glauben an …«
»Was wollt Ihr denn, Clinton?« Ich unterbrach ihn in seinen minderwertigen lyrischen Weitschweifigkeiten. »Gibt es etwas, das ich hinsichtlich des Nordens wissen sollte?«
Fast fühlte ich Cromwell hinter mir, wie er in sarkastischem Ton die entscheidenden Fragen stellte.
»Die
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