Ich, Heinrich VIII.
lärmenden, zügellosen Abends erschien sie fehl am Platze. Aber vielleicht würde sie dazu beitragen, die Stimmung zu wandeln, und mir helfen, die Umgebung aufleben zu lassen, in der ich mich am meisten heimisch fühlte. Ich schaute mich in der glitzernden Gesellschaft um; alles trug Tiermasken und war doch halb nackt. Irgendwie ließ es mich frösteln.
»Und so wollen wir tanzen und die Tage der Weihnacht zu Ende bringen. Ein jeder Mann erwähle seine Partnerin aus Gründen seines Herzens«, rief der Abt. Er klang erschöpft.
Bis jetzt hatte ich mich geweigert, mit Catherine zu sprechen; so empört war ich über ihr Kostüm. Jetzt aber rief ich: »Ich, der weise Astrologe und Magus, möchte wohl tanzen mit … Jesabel.«
Aus der Mitte der anderen trat Jesabel unverschämt langsam hervor und nahm ihren Platz an meiner Seite ein.
Während auch die übrigen Männer sich ihre Partnerinnen erkoren, erlaubte ich mir, Catherine in ihrer lasterhaften Verkleidung zu betrachten. Ich ertrank in diesem Anblick: Die Wellen ihres dichten braunen Haars, die elfenbeinfarbene Haut, ihr üppiger Leib, geschwungen wie ein Stundenglas.
»Wir sind Bewohner des Orients.« Ich verbeugte mich. »Es ist nur ziemlich, dass wir einander Gesellschaft leisten.« Stumm neigte sie den Kopf. Ich nahm ihre juwelenblitzenden Finger. Es war das erste Mal seit Tagen, dass ich sie berührte, und es durchströmte mich pulsierend.
Hinter dem Abt von Regellos reihten sich die Tanzpaare auf wie eine gewaltige Schlange. Endlich hatte jeder seinen Partner gefunden, und die Kreatur setzte sich in Bewegung und schlängelte sich in langsamen Wellen zu den lockenden Tönen von Flöten und Schalmeien voran. Die Haare in meinem Nacken prickelten beim Klang dieser uralten, gebieterischen Musik und durch die erregende Nähe des Geschöpfes neben mir. Dieses Geschöpf, das auch meine Frau war. Aber niemals wirklich mein Eigen, niemals mein Eigen – das hatte ich immer gespürt … und das verstärkte nur das lodernde Verlangen in mir.
»Jesabel war böse«, flüsterte ich. Aber es waren nur Worte; es kümmerte mich nicht, dass sie böse gewesen war. Sie betörte mich. (Oder war es nur die Sehnsucht nach der feuchten Ekstase, die unter diesem hauchfeinen Rock wohnte? Ich weiß es bis heute nicht.)
»Sie hatte einen Narren zum Gemahl«, wisperte das Geschöpf. Wie sie es sagte, klang es verzeihlich. »Ahab war eingeschüchtert durch die Propheten. Wie More und der Papst versucht haben, dich einzuschüchtern. Dem Herrn sei gedankt, dass ich keinen so weibischen Mann habe.« Sie drehte sich zu mir, um mich zu küssen, und als sie sich wendete, klaffte eine Lücke in der Leibschärpe ihres Kostüms, und ich sah die roten Haare, die ihre geheimen Orte bewachten. O Gott! Es rührte mein Blut, und ich spürte eine Regung in meinen Lenden. Hatte sie sich schon vorher so gewendet? Hatten schon andere dies gesehen? Gesehen, was zu besitzen ich allein privilegiert war? Was nur mir zugänglich sein durfte?
Die Musik wurde schneller.
Eine doppelte Bransle. Gut. Jetzt würde ich mich zeigen. Ein gutes Drittel der Gesellschaft verließ die Tanzfläche; sie wussten, dass sie nicht mithalten konnten.
»Spielt weiter«, heulte der Phallus-Abt. Er ging ein wenig schräg. Verließen ihn die Kräfte? Als hätte er unsere Gedanken gelesen, knickte er zusammen. »Das Ende ist nahe«, röchelte er. Dann suchte er sich einen Stuhl und ließ sich niederfallen.
Die doppelte Bransle war ein Tanz der mittleren Sorte; er erforderte Kenntnis der Schritte, war aber nicht besonders streng. Catherine und ich wussten ihn sauber zu tanzen. Aber sie sprach während des Tanzens kein Wort, sondern bewahrte ein geheimnisvolles Schweigen. Endlich lagen nur noch die Schautänze vor uns, an denen ich teilzunehmen gedachte. In der Vergangenheit war dies immer der große Höhepunkt des Abends gewesen, die Darbietung, auf die die ganze Gesellschaft gewartet hatte. Heute aber, das spürte ich, ließ man es über sich ergehen, statt es sehnlich zu erwarten. Es war etwas, das das Volk dem Monarchen gewährte, um ihn bei guter Laune zu halten, nicht etwas, das es wirklich genoss.
Ich tanzte fehlerlos und hielt immer Schritt mit der Musik und der wachsenden Schwierigkeit des Tanzes. Einer nach dem anderen wichen die übrigen zurück, bis ich allein übrig war. Ich beherrschte die Szene, wie ich es schon früher getan, wie ich es immer getan hatte – wenigstens glaubte ich, es getan zu haben. Mein
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