Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
Vom Netzwerk:
sie wieder sah.
    »Meine Liebe«, flüsterte ich, und ich streichelte ihre Wange, die weich war und so glatt wie Elfenbein.
    Sie lächelte.

    Das Bankett übertraf alles. Obwohl es tiefster Winter war und sie die ganze Gesellschaft nun schon zwei Wochen lang beköstigt hatten, präsentierten die Meisterköche drei separate Gänge, die aus jeweils fünfundzwanzig Gerichten bestanden. Es gab zwanzig große Dreikönigskuchen, einen für jeden Tisch. Der am aufwändigsten verzierte wurde auf einer elfenbeinernen Platte an die königliche Tafel gebracht. Er hatte Türme und Zinnen und war wie ein Schachbrett schwarz-weiß gemustert: eine exakte Nachbildung von Schloss Nonsuch!
    Ich schnitt in die mit Früchten verzierte, glasierte Oberfläche und bot allen eine Scheibe an. Zuletzt nahm ich mir selbst ein Stück.
    Wer würde die Bohne finden? Ich muss gestehen, dass ich hoffte, ich selbst würde es sein. Das Glück, das sich darin ankündigte, hätte ich gern gehabt – irgendeine Versicherung, ganz gleich, wie fadenscheinig, dass das kommende Jahr gut werden würde.
    Münder bewegten sich kauend überall am Tisch. Wer würde die Schicksalsbohne finden, den symbolischen Glücksbringer?
    »Pff-tuuuu!« Anna von Kleve beförderte die begehrte Bohne aus ihrem Munde, indem sie sie auf den Teller spuckte.
    »Es ist die Prinzessin von Kleve«, verkündete Will. Alles nickte und tat erleichtert, weil man nun essen könne, ohne zu ersticken oder sich die Zähne auszubeißen. Insgeheim war alles enttäuscht.
    »Dies ist das Jahr der Lady Anna«, sagte ich, an die ganze Gesellschaft gewandt. »An der königlichen Tafel hat meine hochedle Schwester die Glücksbohne gefunden.«
    Man applaudierte, und dann erhoben sich nacheinander auch an den unteren Tischen die Auserwählten der Glücksgöttin.
    »Ich habe sie auch.« William Paget sprach am benachbarten Tisch. Es klang, als bitte er dafür um Vergebung. Bischof Gardiner, der neben ihm saß, funkelte ihn wütend an.
    »Und ich!«, prahlte Tom Seymour und erhob sich am nächsten Tisch. Er schwenkte die silberne Bohne in der Luft. »Ha-ha!« Er klang wie ein heidnischer Gott des Wohlstandes.
    »Und ich habe sie«, sagte Niall Mor, der irische Jüngling, und stand langsam auf. Er trug seinen Sippenmantel mit einer goldenen Schulterspange, so groß wie ein Klumpen Kohle und so verschnörkelt wie ein Ohrring aus Damaskus. Sein rotes Haar leuchtete wie die Feuer der Hölle.
    Catherine betrachtete ihn und nahm ihren Blick nicht von ihm, als ein fetter Baron aus Cambridgeshire krähte: »Ich habe sie!«
    Will:
    Die Weissagungen trafen zu. Von allen Erwachsenen am Hohen Tisch des Königs wird man, zumindest von unserem heutigen Standpunkt aus, Anna von Kleve als die vom Glück am meisten gesegnete bezeichnen. Sie zumindest ist noch am Leben, steht mit jedermann auf gutem Fuße und genießt, wie man hört, ihr Dasein.
    Heinrich VIII.:
    Die Tafeln wurden aufgehoben, die langen roten Läufer eingerollt, die Böcke zusammengeklappt. Die Große Halle wurde ausgeräumt, zur Bühne für unsere Lustbarkeiten bereitet. Ich hörte die Geräusche der Musiker, die sich in der Galerie über uns sammelten und mit klagenden Klängen ihre Instrumente stimmten.
    Als ich mich in meine Gemächer zurückbegab, um mich zu kostümieren, drang manches Rascheln und Huschen aus dem Dunkel der angrenzenden Korridore und Alkoven an mein Ohr, Hampton Court war gesegnet mit kleinen versteckten Winkeln, in die Liebespaare schlüpfen konnten, um ungestört zu sein. Das war sonderbar; den Bau hatte doch Wolsey geplant, und als Kirchenmann hätte er wenig Interesse daran haben dürfen, solche Vorkehrungen zu treffen, denn angeblich hatte er solchen Bedürfnissen doch abgeschworen.
    In meinem inneren Gemach ließ ich verstohlen mein Bein von Dr. Butts untersuchen und verbinden. Er umwickelte es mit feiner Seide; so war der Verband zwar fest, aber nicht dick.
    »Aber nur für heute Abend«, mahnte er. »Seide eignet sich nicht als Verband. Sie ist nicht saugfähig. Sollte die Wunde nässen, wird es durchdringen und sichtbar werden.« Er nickte. »Nehmt nun eine gute Dosis von Eurem schmerzlindernden Sirup.«
    »Nein. Er betäubt den Schmerz, aber er macht mich auch benommen, und ich darf auf keinen Fall meine Tanzschritte vergessen.«
    Ich wandte mich um und betrachtete mich im Spiegel. Ich war nicht zu erkennen – eine Vision aus dem Morgenlande.
    Auch die Große Halle war nicht wiederzuerkennen; was noch eine Stunde zuvor

Weitere Kostenlose Bücher