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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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Schoß.
    Warum zeichne ich das alles auf? Die Erinnerung ist nicht süß; sie ist widerlich. Aber sie müsste doch süß sein, sie müsste weiterleben wie ein kostbarer Schatz. Nur – die Wahrheit ist dies: Einseitige Liebe hinterlässt keine Süße, keine Erinnerungen. Sie ist ein Windbeutel, aufrechterhalten nicht von wirklichen Ereignissen, sondern von den Gefühlen des berauschten Liebenden. Wenn diese Emotionen zusammenfallen, bleibt nichts, was der Erinnerung lohnte. So. Jetzt habe ich alles aufgeschrieben. Meine Schmach und meine Torheit, ihren Verrat und unsere gemeinsamen Freuden. Denn Freuden waren dabei; das ist ja das Bedauerliche. Das ist der Teil, der mir unbegreiflich ist: diese Freuden. Sie stehen für sich, unangreifbar, wie ein Gott.
    Eine Woche später brach es über mich herein und fällte mich.

CII
    Will:
    E s ist faszinierend, woran er sich hier erinnert. Während der Weihnachtsfeiern hatte er ständig fieberhaft, beinahe außer sich gewirkt. Als er mich am ersten Tag danach rufen ließ, glaubte ich deshalb natürlich, er wolle beichten. Ich war ja sein weltlicher Beichtvater, wie Cranmer sein geistlicher war. Und ich wusste, worum es ging: Um seine extravagante Geste, zu Catherines Ehren eine Münze prägen zu lassen. Ich hatte die Absicht, ihm haarklein zu berichten, wie die öffentliche Meinung dazu aussah. Die Leute waren empört, und (aus seiner Sicht) schlimmer als das: Sie lachten über ihn. Sie nannten ihn einen vernarrten alten Mann. Einen Lustgreis, dem sein Schwanz den Blick versperrte. Eine Peinlichkeit. Catherine wurde als Königin nicht akzeptiert. Das Volk wollte Anna von Kleve, denn in ihr sah es (dumm, wie es nun einmal ist, aber nicht ohne eine natürliche Weisheit) eine Frau von Charakter und von edlem Geblüt. Catherine Howard? Die Leute erkannten ein Flittchen, wenn sie eines sahen, auch wenn der König es nicht erkannte. Ich hatte vor, ihm das zu sagen, denn ich nahm an, er sei beunruhigt.
    Aber ich fand keine Gelegenheit, obgleich ich mir hätte ein Herz fassen und eine erfinden sollen. Bevor mir das gelang, wurde er krank, und man glaubte, er werde sterben.

    Ich hatte vor einem erlöschenden Feuer gesessen, um mich zu wärmen, und mir überlegt, wie ich noch ein zusätzliches Scheit aus dem Vorrat der Privatgemächer ergattern könnte, als Culpepper mir auf die Schulter klopfte, so aufgeregt, wie ich ihn nur je gesehen hatte.
    »Der König – stirbt«, rief er.
    »Wieso?« Er war wohlauf gewesen, als ich ihn am Abend zuvor verlassen hatte; leutselig hatte er auf seinen Kissen gelegen und Listen für seine Staatsreise in den Norden gemacht. Wie er sie liebte, diese Listen und diese Geschäftigkeit. Nie war er glücklicher, als wenn er in den Papieren zu einem seiner geliebten Projekte ertrank.
    »Sein Bein.« Ich warf ihm einen scharfen Blick zu. Niemand sollte doch von der Krankheit des Königs wissen. Wütend hütete er dieses Geheimnis. Wie hatte Culpepper es herausgefunden? Und tratschte er es etwa herum?
    »Es hat sich geschlossen und sendet schwarze Säfte in seinen Kopf«, erklärte Culpepper.
    Was für ein Unfug. Das Geschwür hatte sich nach den Feiertagen geschlossen und eine rosarote Narbe hinterlassen, so hübsch und munter, wie man sie sich nur hätte wünschen können.
    Ich stand auf. Ich musste zu ihm.
    Was ich in seinem Gemach zu sehen bekam, war entsetzlich. Verschwunden war der Heinrich, den ich seit meiner Jugend kannte, dem ich diente und (jawohl) den ich liebte. An seiner Stelle fand ich einen entkräfteten, von Krämpfen geschüttelten Mann mit grünlich schwarzem Gesicht. Er schlug um sich, außerstande, seine Bewegungen zu beherrschen, wie ein aufgespießtes Tier. Und er konnte nicht mehr sprechen.
    Draußen vor der Tür warteten sie in ihren schwarzen Gewändern, wie Geier. Was würde sein Hinscheiden für sie bedeuten? Ich zitterte selbst, ein Opfer meiner Angst. Edward war erst drei Jahre alt. Gütiger Jesus! Wir hatten keinen König!
    Ich hörte ein wildes, metallisches Gelächter, das durch den Korridor hallte. Es war mein eigenes. Seit dreißig Jahren verheiratet, mit fünf verschiedenen Frauen, und er hinterlässt keinen König …
    Jemand hielt mir die Hand vor den Mund und führte mich hinaus. Ich weinte, lachte und machte hysterische Bewegungen. Vermutlich war ich gefährlich.
    Heinrich VIII.:
    Der Tag hatte so vernünftig, so lieblich begonnen. Ich hatte meine Stiefel angezogen und mich auf den Barbier vorbereitet. Ich weiß noch,

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