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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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jenseits aller weltlichen – hätte sie es nur wissen können. Ich lächelte sie an, hob die Hand und streichelte ihre Wange. Am Abend vorher (wenn das Holz brannte und mein Körper zur Ruhe gelegt war) schrieb ich ihr immer einen kleinen Brief, in dem ich ihr von meinen Gedanken erzählte, von meiner Liebe zu ihr und von meinen Beobachtungen ihrer Schönheit. Jeden Morgen nahm sie ihn erfreut entgegen und errötete. Und jeden Morgen (oder war das meine Fantasie, meine hilflose, lüsterne Fantasie?) kam sie mir erhitzter, nervöser vor.
    Und so tat ich, als sei ich ein geduldiger Patient. In Wahrheit sehnte ich mich danach, Pelze und Decken beiseite zu werfen und meinen Platz im Rate der Menschen wieder einzunehmen. Wie lange noch, o Gott, wie lange noch?
    Während ich darniederlag, bekam ich natürlich Besuch. Will kam regelmäßig, um mich zu erheitern. Ratsmitglieder kamen und trugen mir ihre Beschwerden vor. In der Tat, in diesen Tagen tobte der Widerstreit zwischen den »Neuen Männern« und den Traditionalisten. Kirchenmänner erschienen, um mir ihre Ernennungslisten vorzulesen und meine Billigung zu erhalten. Es gab manche Stelle auszufüllen. Ich beschäftigte mich damit, auf den leeren Linien zu schreiben.
    Das alles war sehr sauber und geordnet. Wenn mir der Kopf brummte und es mich nach Schlaf verlangte, zogen meine Diener die Vorhänge zu und tauchten die Kammer in sanfte Nacht. Die Sonne wurde ausgesperrt wie ein schwatzhaftes Kind. Das aber bewirkte, dass eine schlaflose Nacht folgen würde. O Gott, wie lange noch?
    Nicht, dass ich nicht täglich ein paar Stunden lang auf dem Instrument meiner Kehle geübt hätte. Doch immer wenn ich darauf blies, war der Lohn nichts als hallende Stille.

    Zehn Tage jetzt, und ich war am Ende meiner Kraft. Noch immer keine Stimme, und mein Schlafrhythmus war vollends auf den Kopf gestellt. Als Cranmer an meine Bettstatt kam – nachdem Culpepper und Catherine sich verabschiedet hatten und Will unter Verbeugungen im Dunkel verschwunden war –, brachte er nichts mit. Keine Kirchendokumente und Amtslisten, nicht einmal seine Aufzeichnungen zu einem englischen Gebetbuch. Das Allgemeine Gebetbuch wollte er es nennen, wenngleich er sich längst auf den verschlungenen Pfaden eines solchen Buches verirrt hatte.
    »Es gibt einen Aufstand«, erklärte er in kindlichem Englisch. »In Lincolnshire.«
    Ich bedeutete ihm mit einer Gebärde, er möge fortfahren. »Es scheint, einige Verzweifelte haben sich zu einer Verschwörung auf dem Jahrmarkt zu Pomfret zusammengefunden«, berichtete er in Vergebung heischendem Ton, als sei es seine Schuld! »Es gibt viele Arme im Norden, denen niemand hilft in ihrer Not …«
    Wie viele? war alles, was ich wissen wollte. Ich fragte danach, in meiner Kehle, aber es kam kein Laut hervor. Wütend raffte ich Feder und Papier an mich und wiederholte meine Frage schriftlich. Wie mühselig es ist, auf manuelle Mittel der Verständigung angewiesen zu sein!
    »Etwa dreihundert. Aber die Berichte sind verworren. Stündlich kommen andere.«
    Und es können weitere zu ihnen stoßen, fügte ich im Stillen hinzu. Dort oben ist ein Nest, ein Nest von Unzufriedenen. Und die Schotten sitzen wie eine Krone auf ihren Köpfen.
    Die Wut übermannte mich, und ich schlug um mich. Ich prügelte die Kissen, riss mit den Zähnen an ihnen. Ich war hilflos, so hilflos – ein Gefangener in meinem eigenen Körper! Rasend vor Wut hieb ich auf mich selber ein. Nimm dies!, dachte ich, während ich beide Fäuste hoch erhob und auf meinen Schenkel niedersausen ließ. Die Muskeln regten sich wie Hunde, die in Bewegung gerieten. Ich öffnete meinen Mund, um zu brüllen, und befahl meiner Kehle, zu gehorchen. Kein Ton kam hervor.
    Ich gab mich geschlagen und schrieb meine Anweisungen an Cranmer nieder. 1. Findet heraus, wer die Anführer sind. 2. Schickt mir Suffolk her. 3. Beginnt mit den Vorbereitungen für einen möglichen Einsatz gegen sie. Er verbeugte sich und war verschwunden. Ich ließ mich zurücksinken und fühlte mich wie Prometheus in Ketten. In unseren Tagen haben die Stimmbänder mehr Macht als die Muskeln. Und meine waren erstarrt.

CIV
    I ch gelobte mir, Gott nicht auf die Probe zu stellen, indem ich es während der langen Stunden der Finsternis immer wieder versuchte. Aber wenn das erste Tageslicht durch die schimmernden Eisblumen an den Fensterscheiben bräche, sollte mir das als Zeichen dienen.
    Der erste Lichtschein leuchtete auf, und ich erhob meine Stimme.

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