Ich, Heinrich VIII.
Stuart, meiner Schwester Margaret Sohn. Er hatte sich kürzlich mit einer französischen Prinzessin vermählt (mit Marie de Longueville, die ich vor der flandrischen Mähre kurz in Betracht gezogen hatte), und sie hatte ihm spornstreichs zwei Söhne geboren. Aber eine Woche vor und eine Woche nach Ostern waren sie beide plötzlich gestorben, und nun war er kinderlos und voller Trauer, wie es sich gehörte, und sah hoffentlich die Notwendigkeit, neue Bande zu seinem Onkel im Süden zu knüpfen. Es hatte keinen Sinn, wenn Schottland eine Nation für sich bliebe. Alle Zeichen deuteten darauf hin, dass wir uns vereinigen sollten.
Meine Schwester Margaret … sie lebte, intrigierte und versuchte ein stürmisches Leben zu führen. Nur ihr Aussehen hatte sie, wie dies geschehen kann, im Stich gelassen, und so war sie an den Gestaden der Langeweile gestrandet. Erst kürzlich hatte sie sich bei meinem Gesandten Ralph Sadler beschwert: »Ich bin sehr ungehalten darüber, dass ich keinen Brief von Eurem Herrn, dem König, bekommen habe; es wäre ja keine große Sache, ein wenig Tinte und Papier für mich zu erübrigen. Man würde mich hier besser achten, wenn man sähe, dass mein Bruder mich achtet.«
Nun, ihr Wunsch sollte erfüllt werden. Ich schrieb ihr und lud sie, ihren Sohn James V. und andere schottische Edelleute ein, im Frühherbst zu York mit mir zusammenzutreffen. Dort würden wir uns endlich alle begegnen; ich würde meine Schwester zum ersten Mal seit fünfundzwanzig Jahren wieder sehen und meinen Neffen, den König der Schotten, kennen lernen. Für sie würde es eine kurze Reise sein. Ich würde die Abtei St. Marien für das Zusammentreffen neu einrichten lassen. Nichts sollte für diese bedeutsame Begegnung zu prächtig sein. Ich entsandte unverzüglich Zimmerleute und Maurer zu der Kirche, damit sie die fünf warmen Monate für ihre Arbeit nutzen konnten.
Wer sollte in London zurückbleiben? Wem konnte ich vertrauen? Wer würde es vorziehen, dass ihm der Anblick des unbotmäßigen Nordens und seiner verstockten Treue zum Alten Glauben erspart bliebe? Am besten ließe ich Cranmer da, und Kanzler Thomas Audley sowie Edward Seymour zu seiner Unterstützung. Der restliche Hof summte vor Erregung wie ein Bienenschwarm, der im Begriff steht, den Stock zu verlassen. Es war ein Abenteuer für sie alle. Mein Blick hatte sich nicht mehr nach außen gerichtet, seit die Hexe ihn gebannt hatte. Mehr als zwanzig Jahre waren vergangen, seit ich auf dem Feld des Goldenen Tuches gestanden hatte. Die Jungen hatten von dieser Begegnung im Val d’Or gehört; sie war zur Legende geworden, aber die Legende verblasste. Jetzt würden sie auf eine größere Reise gehen, und alles würde so prachtvoll funkeln, dass sie keinen Grund mehr hätten, die Alten zu beneiden.
Als Robert Aske während der Pilgerschaft der Gnade vor mir gekniet hatte, da hatte ich ihm unter anderem versprochen, in den Norden zu kommen und Jane in der Kathedrale von York zu krönen. Nur wenige Monate später war Jane tot gewesen. Aber die Zusage, im Norden eine Königin zu krönen, schwebte über mir wie eine alte Schuld. Sollte ich Catherine in York krönen lassen?
Ich wollte sie doch krönen lassen, oder nicht? Ich ließ die Abtei St. Marien für James V. in aller Pracht wieder herrichten. Warum sollte ich sie nicht mit der Krönung einweihen? Die Schotten würden sicher dabei sein; auf diese Weise könnten alle an der Wiedervereinigung teilnehmen, ohne ihr Gesicht zu verlieren, und für Catherine wäre es ein unvergleichliches Geschenk meiner Hingabe.
Warum also nicht? Es war alles nur folgerichtig und passte zusammen, wie ein Säugling und die Brust seiner Mutter eine vollkommene Einheit bilden. Warum scheute ich zurück? Schließlich rechtfertigte ich mein Zögern vor mir selbst damit, dass es sich in der Vergangenheit immer als Katastrophe erwiesen hatte, wenn ich versucht hatte, verschiedene Dinge miteinander zu verflechten. Die Reise nach Frankreich im Jahre 1532, und Anne mit Katharinas Juwelen … nein, alles zu seiner Zeit.
Übrigens drängte mich auch niemand bei Hofe, die Krönung endlich zu vollziehen. Vielleicht war es damit ja wie mit Hochzeiten: Nach der ersten verlieren die anderen an Dringlichkeit und Zauber. Es schickt sich nicht, wichtige Zeremonien allzu oft zu wiederholen. Damit beruhigte ich mich. Aber was war der wahre Grund?
Mai und Juni vergingen mit den Vorbereitungen zur »Großen Nördlichen Staatsreise«, wie man es bald
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