Ich, Heinrich VIII.
brutale und mörderische Einzelheit. Ihre vorgespielte Keuschheit, die mich veranlasst hatte, die Heirat in solch überstürzter Hast herbeizuführen, weil ich sie nicht verletzen wollte; ihr lasterhaftes Benehmen in unserer Hochzeitsnacht, einer Hure angemessen, die alles Süße längst hinter sich gelassen hatte; Derehams syrische Liebescreme; Culpeppers und Catherines Abwesenheit während meiner Krankheit, und ihre Nervosität; ihre geröteten Wangen an jenem Morgen, die ich frommen Erlebnissen während der Messe zugeschrieben hatte; ihre versperrte Tür auf der »großen Reise« in den Norden und das Ammenmärchen über die schottischen Meuchelmörder und ihre Küsse und Beteuerungen am nächsten Morgen. O Gott!
Ich ließ den Kopf auf den Ratstisch sinken und weinte. Die Mütze fiel mir herab und entblößte mein schütteres Haar. Ich war so nackt wie nie zuvor, und es kümmerte mich nicht, so groß war mein Schmerz. Ich hatte Catherine geliebt, hatte sie für keusch und liebevoll gehalten. Und es war alles gelogen gewesen. Sie war eine Hure, eine verschlagene Hure, die an den Hof gegangen war, »um ihr Glück zu machen«.
Schwankend richtete ich mich auf und schrie: »Ein Schwert! Ein Schwert!«
Niemand rührte sich.
»Holt mir ein Schwert!«, befahl ich. »Ich werde sie töten, töten … Sie soll im Laster nicht so viel Vergnügen gefunden haben, wie sie im Tode Qualen erleiden wird!« Ich starrte in die Runde. »Ich will, dass sie leidet, Freunde. Sie soll leiden! Man fühlt die Ekstase der Liebe in jedem Teil des Körpers, nicht wahr? Nun, jetzt soll der Schmerz ihr alle Glieder durchdringen.« Es war so einfach. Warum verstanden sie mich nicht? Schmerz wie der, der mich erfüllte – den wollte ich ihr zufügen.
»Seid Ihr taub? Ich will ein Schwert!« Ah, aber ich konnte sie nicht selber töten; ich hatte nicht das Geschick dazu. »Dann einen Schwertfechter!«
Cranmer warf mir die Arme um den Hals. Auch er weinte. Aber es gibt Weinen und Weinen, und meines kam aus der Tiefe. Es war unaufhaltsam. Je mehr Schmerz mich erfüllte, desto mehr Tränen quollen hervor.
»Aufhören! Aufhören!« Ich konnte es nicht mehr ertragen. Ich klammerte mich an Cranmer. Ich kreischte, als wollte ich mein Innerstes nach außen wenden, mich aus mir selbst verstoßen.
Betrogen. Ich war betrogen. Ich konnte es nicht ertragen; der Schmerz brannte wie Feuer. Mein Leben war eine Lüge, meine Liebe war eine Lüge, nichts war, wie es zu sein schien, alles war ins Gegenteil verkehrt …
Ich erbrach mich auf den Tisch, und voller Ekel sah ich, wie die Brühe auf den türkischen Teppich troff. Mein Leben war wie dieses Erbrochene; ich selbst war es, was da in dieser verspritzten Lake vor mir lag, stinkend und durchsetzt von fauligen, unkenntlichen Dingen.
Jemand brachte mich zu Bett. Ich tobte, völlig außer mir. Bevor sie mich fortbrachten, rief ich nach Will.
Zwei volle Tage lag ich im Bett, die ganze Zeit über in einem verhangenen Zimmer, in das kein Tageslicht drang. Meine Hände waren mit seidenen Schnüren gefesselt, damit ich mir nichts antun konnte. Ich weinte und tobte unablässig, ohne zu schlafen. Erinnerung über Erinnerung erschien vor mir, und jede war so unvergleichlich qualvoll, dass es keine Erleichterung brachte, sie zu verdrängen. Als ich dann schlief, hatte ich schreckliche Träume. Ich raste und wollte nichts weiter, als aus dem Gefängnis meines Geistes entrinnen.
Und es verebbte nicht. Am Ende war ich nur erschöpft und verfiel in einen Zustand der Reglosigkeit.
CVIII
I ch erwachte und sah ein betrübtes Gesicht: Cranmer. Er stand am Fußende meines Bettes. Wie lange schon? Was wollte er?
»Euer Gnaden – geliebter König …«, begann er und nahte sich mir.
Geliebter. Nur ein alter Mann würde fortan mit diesem Wort zu mir sprechen, und nur einem alten Mann würde ich es noch glauben.
So hatten sie um mich gefürchtet? Um meinen Verstand oder um mein Leben? Aber ach! keines von beiden hatte mich verlassen, keines war von mir geflohen. Ich war noch da, starr, bleiern – und völlig bei Verstand. Es gab keine Ruhe vor meinem Schmerz und vor meinem Bewusstsein.
»Cranmer.« Ich zeigte ihm, dass ich ihn erkannte, bat ihn, näher zu kommen.
»Wir haben dies in Culpeppers Briefschatulle gefunden – als er fröhlich auf der Beiz war; wir haben seine Gemächer durchsucht. Er ist bereits verhaftet …«
Er reichte mir einen Brief, so verlegen, als hätte er ihn selbst geschrieben.
Meister
Weitere Kostenlose Bücher