Ich, Heinrich VIII.
wie von ungefähr sagen soll:
›So eine gab’s einmal, oh weh! und es war schade,
Dass sie die Unwahrheit für unter ihrer Würde hielt‹«.
Sie hatte etwas an sich, das die Dichter ansprach … Sie hatte nur diese Stufen hinaufsteigen müssen, und das hatte genügt, das Herz eines weiteren Mannes zu umgarnen, ihr einen weiteren Getreuen zu verschaffen.
Dies war das letzte Mal, dass sie in der Öffentlichkeit erschien. Im Tower gab es niemanden, der sich von ihrer Schönheit und ihrer Wehmut würde wankend machen lassen.
An diesem Abend äußerte sie eine erstaunliche Bitte: Man möge ihr einen Block in die Zelle stellen, damit sie üben könne, ihren Kopf darauf zu legen. Sie war entschlossen, den versammelten Zeugen am nächsten Tag einen hübschen Auftritt zu bieten. Man berichtete mir, sie habe dann mehr als eine Stunde lang zierlich an dem Ding geprobt, sei aus vielen verschiedenen Winkeln herangetreten, habe den Kopf seitwärts nach links und nach rechts gewendet darauf gelegt und ihn gerade herabhängen lassen und ihre unglücklichen Diener jedes Mal gefragt, welches wohl die bessere Haltung sei.
Und wie verbrachte ich diese Nacht? Ich lag bis zum Morgen wach – und im Februar sind die Nächte lang. Es war schon Nacht gewesen, als Catherine beim Tower angelangt war, und es würde immer noch Nacht sein, wenn sie das Schafott bestieg, um sich den Kopf abschlagen zu lassen.
Es war dasselbe Schafott, das Anne bestiegen hatte, und More und Fisher und Buckingham und Neville und Carew. Im gemeinen Volk war die Idee erwacht, »unauslöschliche Flecken« besudelten das Pflaster darunter. Aber das war Unfug; ich hatte mir die Steine selbst angesehen, und es waren ganz gewöhnliche Steine ohne irgendwelche Spuren. Was das Schafott anging, so tat es seinen Dienst immer noch gut, und aus Zimperlichkeit ein neues zu bauen, wäre Unsinn gewesen.
Die Nächte im Februar sind auch kalt. Diese vor allem war klamm; es war eine Klammheit, die den Menschen lähmt. Sie war schlimmer als die saubere Kälte von Schnee oder Eis. Ich konnte kaum ein Glied rühren, obgleich ich unter einem Berg von Pelzen lag, die mich wärmen sollten. Das lodernde Feuer vermochte nichts gegen diese Kälte. Wie mochte Catherine sich fühlen, dort im uralten Tower? Sie war immer so empfindlich gegen die Kälte gewesen. Ich erinnerte mich daran, wie sie all die Pelze und Decken an Reginald Poles verräterische Mutter, die Gräfin von Salisbury, in den Tower geschickt hatte, damit sie sich nicht erkälte. Ich hatte sie wegen ihrer Weichherzigkeit gescholten. Aye, weichherzig war sie gegen jedermann – gegen die alte Verräterin, die Gräfin, gegen die stellungslosen ehemaligen Sekretäre und Verwandten der Herzogin, gegen ihre Komplizen in der Sünde. Bei jedem Bedürftigen schmolz sie dahin. Nie kam es ihr in den Sinn, danach zu fragen, ob er sich vielleicht selbst in Not gebracht hatte.
Im Osten hellte es etwas auf – ein jämmerlicher Ersatz für ein Morgengrauen. Draußen vor meinem Fenster gluckerte die unruhige Themse wütender. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie eisig ihr Wasser jetzt sein musste.
So: Jetzt war er da. Der Tag der Urteilsvollstreckung, der Tag, an dem wieder eine Königin von England sterben musste.
Ich hatte mein Trauern beendet, und als ich aufstand, war ich entschlossen, diesen Tag mit meinen Kindern zu verbringen. Sie waren der einzige Trost, der mir geblieben war, das Einzige, was ich hervorgebracht hatte, das durch nichts bemäkelt oder besudelt werden konnte.
CXI
I ch hatte ihnen durch ihre Erzieherinnen und Kämmerer mitteilen lassen, dass der dreizehnte Februar für mich, ihren königlichen Vater, zu reservieren sei. Sie sollten den ganzen Tag in meiner Gesellschaft verbringen und tun, was sie am liebsten taten. Denn gern wollte ich wissen, was das war: Kennt man die Freuden eines Menschen, so kennt man sein Herz.
Um acht Uhr sollten sie in meinen Gemächern erscheinen, bereit für einen erholsamen Tag.
Maria kam, als der erste Glockenschlag ertönte. Sie schleppte eine große Tasche; ich nahm an, es seien Bücher darin. Aber zu meinem Entzücken holte sie eine Viola, eine Viola da Gamba und eine Flöte hervor. »Meine größte Freude«, sagte sie, »besteht darin, den ganzen Tag zu musizieren, ohne dass mir jemand sagt, es sei an der Zeit, mich um andere Dinge zu bekümmern.«
Musik. Auch ich würde gern den ganzen Tag musizieren. Ich ergriff Maria und küsste sie auf beide Wangen. »Du ahnst nicht,
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