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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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Unzulänglichkeit konnte ich vergeben, nur nicht diese.
    Er blinzelte. »Dann stimmt es, wie man Euch schildert.«
    »Spart Euch Eure auswendig gelernten Bemerkungen über meine Grausamkeit und meinen Mangel an menschlicher Güte, in denen Euch Euer Herr, der aufrechte James V., ohne Zweifel unterwiesen hat! Wenn es grausam ist, eine Schwester als das zu bezeichnen, was sie ist, und sich von sentimentaler Rücksicht auf eine Törin nicht überwältigen zu lassen, dann will ich mich gern grausam nennen lassen.«
    »Ihr seid wirklich ein Ungeheuer!« Er ordnete seine Züge zu der entsprechenden Miene von fassungslosem Entsetzen, wie sie für das Anstarren eines Ungeheuers vorgeschrieben ist.
    »Ist das der schlimmste Blitz, den Ihr schleudern könnt? Kommt, kommt!«, lockte ich spöttisch.
    »Selbst das Lachen ist das Lachen eines Ungeheuers«, murmelte er.
    »Jetzt, da wir einander verstehen« – ah, für so etwas war das Publikum da; die erste halbe Stunde wurde immer mit Spiegelfechtereien verschwendet –, »wollen wir auch klare Worte sprechen. Ich will Folgendes: Schottland und England sollen sich vereinigen, vorzugsweise durch Heirat. Die Feindseligkeiten sollen aufhören, denn sie sind unsinnig; man braucht nur auf die Landkarte zu schauen: Wir sind ein einziges Land. Alles andere folgt daraus.«
    »Jetzt sollt Ihr einmal mich verstehen«, sagte er, und seine Stimme klang rau und schneidend. »Mich kümmert nicht, was Eure Landkarten sagen, oder was Euch die ›Logik‹ sagt. Wir Schotten sind ein anderes Volk, ganz anders als das Eure. Dass Ihr uns nicht versteht, kann unsere Sorge nicht sein. Wir sind Menschen unseres Landes, und unser Land ist so verschieden von dem Euren wie Spanien.«
    Spanien! Wie kam er ausgerechnet auf dieses Land?
    »Wir sind Menschen des Meeres, des Hochlandes, der langen Nächte und der langen Tage. Bei uns gibt es nichts Ausgeglichenes. Einige von uns sprechen noch immer eine andere Sprache – Gälisch heißt sie, und ähnlich spricht man auf der Insel Man, an der Küste von Wales, in der Bretagne und in all den anderen felsigen, bitteren Gegenden am Rande Eurer fetten, samtenen Länder. Dort wurzeln und dort blühen wir, und dort brauchen wir Euch nicht!«
    »Doch, Ihr braucht uns! Denn ohne Frieden könnt Ihr auf der Welt nicht überleben, man wird Euch zerquetschen und Euch das Keltentum aussaugen wie einer Auster ihr …«
    »Ihr schreckt mich nicht!«, knurrte er. Ja, er knurrte – wie ein Wolf aus dem Norden. Noch nie hatte ich einen solchen Laut aus einer menschlichen Kehle gehört. Bevor ich ihn entlassen konnte, war er hinausgestürmt, umwirbelt von seinem Mantel.
    Er hatte Recht. Ich wusste es tief in meinem Herzen. Schottland war ein völlig anderes Reich, unserem englischen Denken so fremd, dass wir einander niemals auch nur verstehen würden.
    Was hatte er da von seinen keltischen Vettern geredet? Von Wales, der Bretagne, Irland, der Insel Man? Ich war Waliser, zumindest zum Teil. Ich hatte ihre Sprache gesprochen, als Junge jedenfalls. War es mir verwehrt, ihre Gedanken zu verstehen? Hatte ich denn nichts davon in mir?
    Ich wusste, dass Gedichte manchmal meine Haut kribbeln ließen. Ich wusste, dass Musik mich in eine andere Welt versetzen konnte und dass meine Begabung für sie außerhalb meiner selbst zu wohnen schien. War dies ein Eckchen dessen, was es hieß, Kelte zu sein? Dieses Eckchen erleuchtete, milderte, erhöhte den ganzen Rest meines Wesens. Wenn es nun nicht nur ein Eckchen war, sondern der ganze Mensch? Plötzlich glaubte ich zu wissen, wie es war, ein Schotte zu sein, und ein Teil meines Ich fühlte sich dort hingezogen; der andere Teil aber erkannte den unversöhnlichen Feind, mit dem ich nicht gemeinsam existieren konnte.

    Ich hatte noch eine Viertelstunde Zeit, bevor der päpstliche Gesandte erscheinen würde. Ich musste mich zusammennehmen. Das Dröhnen in meinem Kopf hatte nachgelassen, aber es war nicht völlig verschwunden. Ich warf einen Blick auf den grünen Sirup. Aber davon hatte ich genug. Ich griff nicht nach der Flasche.
    Ich brauchte einen klaren Kopf für den päpstlichen Nuntius. Was war es, das ich von ihm zu hören wünschte, und was sollte er von mir hören?
    Die päpstliche Präsenz in England, geschrumpft auf diesen einen kleinen Ausländer … ah, wie unmöglich das noch vor nur zehn Jahren erschienen wäre! Damals war das Papsttum überall gewesen, hatte alles diktiert, alles belehrt, alles beherrscht. Oder es doch wenigstens

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