Ich, Heinrich VIII.
Manne, jedem Weib und jedem Kinde offenbar.
Stolz? Es gab Gruppen, die sich von den pestbefallenen Menschen ringsumher zurückzogen, sich völlig einschlossen und sich in Sicherheit wiegten, solange sie »Mäßigung« und »Ruhe« pflegten. Sie aßen die delikatesten Speisen und tranken den feinsten Wein, lauschten süßer Musik und ließen niemanden in ihre Häuser, mochten die Nachbarn auch an ihre Türen pochen und um Hilfe flehen. Sie verweigerten nicht nur anderen Menschen den Zutritt, sie ließen nicht einmal die Kunde von dem, was außerhalb ihres engsten Quartiers geschah, an sich heran.
Der Stolz trägt viele Hüte: Ein anderer ist die Tollkühnheit, mit der etwa Charles Duc d’Orleans, Franzens Lieblingssohn, (denn die Pest wütete auch in Frankreich) in ein von der Pest heimgesuchtes Haus stürmte, die Federmatratze mit seinem Schwert durchbohrte und dabei brüllte: »Noch niemals ist ein Sohn Frankreichs an der Pest gestorben!« Pünktlich drei Tage später starb er an der Pest. Dann gab es den Stolz, der darin bestand, gerade nicht zu fliehen, sondern wacker auf seinem Posten auszuharren, wie Wolsey es getan hatte.
Die Habgier zeigte dreist ihr Antlitz, denn alle Furcht vor Vergeltung oder Züchtigung war verflogen. Die Aasgeier, wie Hal sie nannte, hackten in die aufgedunsenen Opfer. Für einfachste Dienste wurde erpresserischer Lohn gefordert. »Huckepackmänner« tauchten auf wie Friedhofsdämonen und ließen sich dafür bezahlen, dass sie die Bahren zu den Gräbern schleppten, da alle »achtbaren« Menschen geflüchtet waren. Die Habgier trieb Menschen dazu, nach Stellungen und Besitztümern zu greifen, die von ihren rechtmäßigen Besitzern aufgegeben worden waren.
Neid und Jähzorn reichten einander die Hände: Niedere trugen die Gewänder ihrer Meister und übten die Ämter ihrer Herren aus, wie böse Kinder, die auf bepflanzten Äckern tollten. Der Zorn der Untergebenen fand seinen Ausdruck in der Schadenfreude, mit der sie ihre Herren in unmarkierte Gräber warfen oder vor den Augen aller der Verwesung anheim gaben – eine unüberbietbare Schmach und Erniedrigung. Junker Holmes, der ehedem in langem, pelzverbrämtem Mantel und juwelenbesetzter Mütze einherstolziert war, verrottete jetzt vor den Augen seiner einstigen Diener unter Gestank zu einem Skelett.
Der Völlerei gelang es selbst in diesen giftigen Zeiten, eine Nische für sich zu finden. Wenn man morgen schon tot sein konnte, sollte man da nicht mit einem fetten Wanst verröcheln, die Lippen noch klebrig von würzigem Wein? Nicht wenige erklärten, sie stürben ebenso gern an übermäßiger Schwelgerei wie an der Pest, und so, glaubten sie, könnten sie der Pest gar noch ein Schnippchen schlagen. Also zechten sie, sie aßen und tranken unaufhörlich, vertilgten, was in den Speisekammern der Toten lag, und zogen von Haus zu Haus wie die Aasgeier – nicht auf der Suche nach Gold, sondern nach Speise und Trank. Ihre letzten Tage verbrachten sie so in einem Rausch von Wein und Kuchen.
Andere natürlich frönten der Wollust, und das war ihre Antwort auf die Seuche: Sie zogen es vor, von der Hand der Venus zu sterben. Die bevorstehende Entlassung aus den Gesetzen der Moral nahmen sie zum Vorwand, gleich jetzt dagegen zu verstoßen. Sie überließen sich der freien Liebe, richteten Orgienhallen in Häusern ein, die der Tod geleert hatte, und dort suhlten sie sich in jedem römischen und französischen Laster, das der Menschheit bekannt war. Sogar achtbare Frauen wurden zu Spielbällen solcher in Geilheit entbrannten Männer, wenn diese zu ihnen kamen, um sie zu »versorgen«, als sie hilflos und schwach von der Krankheit darniederlagen: Sie wurden »untersucht« und entblößt, man vergnügte sich mit ihnen … und überließ sie dem Tode.
Das Recht brach zusammen. Anwälte und Priester starben mit denen, denen sie dienten, und es blieben nur noch wenige, die die Gesetze und die Sakramente zur Anwendung brachten. Wann immer ein einsamer, übrig gebliebener Priester erschien, um ein Begräbnis zu vollziehen, musste er feststellen, dass viele Bahren sich der ersten anschlossen, denn die Menschen hielten eifrig Ausschau nach einer rechtmäßigen Bestattung, an der sie auch teilhaben könnten. So wenige gab es, die den zivilen oder den kirchlichen Gesetzen noch Geltung verschafften, dass kein Mensch mehr daran dachte, sich an sie zu halten, und so gab es praktisch überhaupt keine Autorität mehr.
Die Trägheit – jene schleppende,
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