Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
Vom Netzwerk:
lauernde Sünde, die so vielen der anderen zugrunde liegt – kam zu ihrem Recht, da die Menschen es ablehnten, wenigstens das zu tun, was sie konnten: die Straßen zu säubern, die Müllberge zu beseitigen oder die Ernte einzubringen. Sie begingen einen einzigen grotesken Feiertag.
    Die Pest reichte hin, um einen Moralisten aus mir zu machen, wenn nicht gar einen echten Christen. Denn die wahre Natur des Menschen war so hässlich, so abscheulich, dass mir jedes noch so verhasste System, das sie in ihrem Übel mäßigte, erstrebenswert und annehmbar erschien.
    Zumindest bis die Pest vorüberging.
    Heinrich VIII.:
    Ich hatte Holbein vernachlässigt. Ich hatte mich nicht um seine sterblichen Überreste gekümmert, und damit hatte ich mich ebenso barbarisch benommen wie jeder beliebige Lehrbursche, der vor Angst von Sinnen war. Die Pest hatte mich zum Heiden gemacht – mich, das Oberste Haupt der Kirche von England. Ich betete, als ich an dem Leichenhaufen vorüberritt: Herr, schenke ihnen den ewigen Frieden.
    Dann: Herr, vergib mir meine Unzulänglichkeiten, meine Fehler, meine Blindheit.
    Je mehr ich wusste, desto mehr verstand ich auch, so schien es, aber dadurch vervielfachten sich auch meine Sünden.
    Außerhalb der Stadtmauern wurden die Abstände zwischen den Behausungen immer größer. Aber wenn ich geglaubt hatte, die Pest sei außerstande, hier von Haus zu Haus zu springen, so hatte ich mich geirrt. Knechte waren mitten auf dem Feld gestorben, und ihre Familien in den Kotten waren zur gleichen Zeit dahingeschieden. Viehzeug jeglicher Art – Kühe, Schweine, Schafe, Ziegen – irrte auf den Straßen umher, verhungernd, benommen. Hunde streunten herum und wurden wieder zu Raubtieren, duckten sich und knurrten, wenn wir vorüberkamen. Niemand kümmerte sich mehr um die Äcker; das Korn wuchs, so gut es konnte, aber kein Mensch würde es ernten. Die Völlerei auf dem Lande zeigte sich darin, dass die Leute abrissen, was immer gerade reif war, es an Ort und Stelle verzehrten, ohne es zu Mehl oder Bier oder Gemüse zu verarbeiten, und keinerlei Vorkehrung für den nächsten Tag trafen.
    Auf unserem Weg nach Westen kamen wir durch die Dörfer Wokingham, Silchester und Edington. In jedem schien es weniger Kreuze an den Türen zu geben, weniger Leichenhaufen, weniger Gestank, und als wir Wiltshire erreicht hatten, fanden wir tatsächlich ein unberührtes Dorf, in dem keinerlei Aufruhr herrschte, und die Felder, die es umgaben, waren gepflegt und sauber. Es erschien uns so wunderbar, wie das Leben und die Zivilisation es ja sind, möchten wir sie auch als normal empfinden. Sie sind nicht normal. Das Chaos ist es.
    Und während der ganzen Reise hatte ich mich immer wieder bang umgeblickt – wie Orpheus: Ich fürchtete, mein Gefolge zu verlieren, fürchtete, es im Hades zurückzulassen.
    Überall in Wiltshire standen Dörfer und Siedlungen in Blüte, unberührt von der Pest; und dann zogen wir durch den Wald von Savernake, diese große weite Wildnis, die seit König Arthurs Zeiten unverändert war, und erreichten die kleine Straße, die ich so gut kannte: den langen, von Wagengleisen gefurchten Pfad nach Wolf Hall.
    Wolf Hall: Ich sah es wieder, klein, gesund, selbstgenügsam. Janes Heim. Mein Herz tat einen Freudensprung und schmerzte zugleich. Narr, ein Narr, dass du hierher kommst! Hast du denn erwartet, Jane hier zu sehen?
    Nein. Aber ich bin stark genug, zu ertragen, dass ich sie nicht sehe. Es liegt ein seltsamer Stolz darin, sich in Gottes Willen zu fügen; es ist die Ekstase, mit der man einen Arm voll dorniger Zweige an die Brust drückt …

CXX
    I ch richtete mich in der Kammer des alten Sir John ein; Will und Dr. Butts wohnten bei mir. Edward sollte in Janes Mädchenstube schlafen, und Tom Seymour bezog seine alten Gemächer. Lady Kate Parr erwählte sich das Gästezimmer.
    Unser Tagesablauf war einfach, und ich merkte, dass es mir so gefiel. Es gab keinen Priester, und so gab es auch keine Frühmesse. Stattdessen schliefen wir alle, bis wir von allein aufwachten, was zumeist gegen sieben der Fall war. An einem Sommermorgen bedeutete das, dass die Sonne – und die Bauern – schon seit drei Stunden auf waren, sodass einen der Duft von gemähtem Gras und das Spiel der Sonnenstrahlen auf dem Boden weckten. Wir versammelten uns draußen im Hof zu einem Frühstück, das aus Ale, Käse und dunklem Brot bestand; dazu gab es Butter und Pflaumenmus; manchmal saßen wir dann stumm und noch schlaftrunken da und

Weitere Kostenlose Bücher