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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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rastete. Der Fußweg hatte mich ermüdet. Schweiß drang durch die Nähte meiner Kleidung. Was hatte ich hier zu finden gehofft? Hatte ich mich vergewissern wollen, dass der verzauberte Augenblick vergangen war? Hatte ich einen Geist zur ewigen Ruhe betten wollen? Oder irgendeine Art Sakrament empfangen?
    Was immer ich mir gewünscht hatte, die Wirklichkeit hatte es zunichte gemacht. Das hier war nichts als eine alte Scheune, und eine Mauer aus Zeit trennte mich von dem, was ich noch einmal hatte umfangen wollen. Diese feste Mauer aber war nicht zu überspringen, nicht einmal mit dem Stab der Fantasie und der Sehnsucht.
    Ich war, wie ich war. Jetzt, in diesem Augenblick. Ein trostloser Gedanke, ein bedrückender Gedanke. Aber seltsamerweise zugleich auch ein befreiender Gedanke. Ich war, wie ich war. Jetzt, in diesem Augenblick. Alles, was ich war, gewesen war, sein würde, war jetzt hier bei mir.
    Ich schrak auf, als ich Stimmen hörte. Wie konnte es jemand wagen, mich bei meiner privaten Andacht zu stören? Denn eine Andacht war es: die Verehrung privater Götter.
    »Das ist die große Scheune von Wolf Hall«, hörte ich Kates klare Stimme sagen. »Sie wurde erbaut« – eine Pause, in der Papier raschelte – »im Jahre 1452 vom Urgroßvater deiner Mutter. Deine Mutter feierte hier ihre Verlobung.«
    »In einer Scheune?« Edwards Stimme. Weinerlich und ohne Achtung.
    »Ja. Sie hat Platz für viele. Was für eine wunderbare Scheune!«
    Sie stand in der Mitte der Scheune und breitete die Arme aus. »Welch ein Glück, dass sie so großartig erbaut wurde!«
    »Eine Scheune«, wiederholte Edward.
    »Eine verzauberte Scheune«, sagte ich und trat aus dem Dunkel. Ich wollte sie nicht länger belauschen.
    Die beiden erbleichten und schienen alles andere als erfreut zu sein, mich hier so unerwartet anzutreffen.
    »Ich bin hergekommen, um den Verlobungsschmaus meiner lieben Frau noch einmal zu erleben. Edward, eine Scheune ist nichts, dessen man sich schämen müsste.«
    Ich wandte mich an Kate. Meine Rührung darüber, dass sie ihn hergeführt hatte, um ihm von der Vergangenheit seiner Mutter zu erzählen, war größer, als ich mir anmerken ließ. »Es ist sehr freundlich von Euch, ihn in seiner persönlichen Geschichte ebenso zu unterweisen wie in römischer Historie«, sagte ich.
    Sie schwieg und neigte nur den Kopf.
    »Ja, Edward, deine Mutter feierte hier ihre Verlobung. Es war eine milde Maiennacht, und alle Nachbarn und Edelleute aus der Umgebung kamen her, um mit ihr zu feiern«, sagte ich.
    Es interessierte ihn nicht. Jetzt, in diesem Augenblick. Alles war hier. Es kümmerte ihn überhaupt nicht. Eine alte Scheune war eine alte Scheune und nicht ein magischer Ort, wo Vergangenheit und Gegenwart sich trafen.
    »Ich wünschte, ich hätte sie gekannt«, sagte er schließlich.
    Nur auf Holbeins Gemälde, dachte ich. Nur dort könnt ihr einander noch kennen lernen.
    Er ging davon und sprang in den Heuhaufen, der von der letzten Ernte noch am anderen Ende der Scheune lag. Ich fühlte mich plötzlich alt und krank, und ich wusste nicht, warum. Wenn wir leiden, spricht Christus zu uns. Aber was sagte Er? Ich hörte nichts. In diesem Augenblick meines Lebens hätte ich in der Lage sein müssen, die Summe zu ziehen, aber ich konnte es nicht. In vieler Hinsicht schien ich noch derselbe zu sein, der ich als Knabe gewesen war. Ich war jung und unwissend in einem alten und kranken Körper.
    Kate stand neben mir, als Edward im Heu tobte. Sie lächelte.
    »Er ehrt seine Mutter auf seine Art«, sagte sie. »Ich glaube, es ist wichtig für ihn, dass er hergekommen ist und das Haus und das Land der Seymours gesehen hat. Er muss wissen, dass er ein Seymour ebenso wie ein Tudor ist.«
    »In solchen Familien ruht Englands Größe. Die Seymours, die Dennys, die Parrs – sie sind Englands wahre Stärke.« Ich sah sie an. »Jawohl, die Parrs haben England wacker gedient, und wenn ich von ›echten Engländern‹ spreche, so sind es die Parrs, die ich meine. Ohne die ›echten Parrs‹ gäbe es kein England.«
    Sie wollte widersprechen, aber etwas hinderte sie daran. »Aye«, sagte sie. »Wir sind stolz, Engländer zu sein.«
    Reine Engländer. Elisabeth hatte diese Bezeichnung immer benutzt. Sie schwelgte in ihrem Engländertum, in ihrer puren englischen Abstammung. Ich musste ihr schreiben. Ich hatte Hatfield für sicher gehalten, aber vielleicht sollte sie doch zu uns kommen. Ich wollte sie nicht verlieren. Ich wollte sie nicht

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