Ich, Heinrich VIII.
genannt worden. Aber ich lächelte und winkte, als glaubte ich ihnen. Und einen Augenblick lang tat ich es vielleicht auch. Aber nur einen Augenblick lang.
Boulogne war eine hässliche Stadt. »Unwirtliches Hundeloch«, sagte später jemand aus dem Geheimen Staatsrat. Jedenfalls wirkte es, von außen betrachtet, ansprechender als innerhalb seiner Mauern. Dort nämlich herrschte das übliche französische Durcheinander beliebig angelegter Straßen voller Kot und Unordnung, alles übergossen mit dem, was sie irrtümlich »Charme« nennen. Nun, unter englischem Kommando würde sich das Ganze wohl richten. Die Beschießung hatte große Teile der Stadt in Trümmer gelegt, sodass sie wieder aufgebaut werden mussten. Ich würde dafür sorgen, dass dies auf gute englische und nicht auf gallische Weise geschah.
Ein Dutzend Tage blieb ich in Boulogne und ließ mir meinen Triumph schmecken. Dann plötzlich kehrten die Teufel zurück. Ich bekam Anfälle wie damals beim Valentinsbankett: Ich sah Rot in den Augen der Leute. Nicht bei allen Leuten, nur bei manchen. Und wiederum war das Verfluchte an dieser Heimsuchung vor allem, dass ich mich nicht immer erinnern konnte, was ich getan, gesagt, unterschrieben hatte.
Ich hasste diesen Zustand. Warum musste er jetzt über mich kommen? Ich hatte geglaubt, es sei eine vorübergehende Erscheinung der Trauer über … nein, ich will ihren Namen nicht schreiben. Aber jetzt, unter dem klaren Himmel Frankreichs, war ich doch so zufrieden, wie ich es nur selten gewesen war …
Kate schrieb mir liebreizende Briefe:
Wiewohl die Zeit, die verstrichen, die Tage, die vergangen seit der Abreise Eurer Majestät nicht lang noch viele, so macht doch der Mangel Eurer Gegenwart, die ich so sehr liebe und ersehne, dass ich keine ruhige Freude in irgend Ding kann finden, ehe ich nicht von Eurer Majestät habe Kunde erhalten. So erscheint mir die Zeit gar lang und voll der Sehnsucht, endlich zu erfahren, wie es Eurer Hoheit seit der Abreise von hier möchte ergangen sein, da ich Euer Wohlergehen und Eure Gesundheit höher schätze und ehre denn meine eigene. Wohl weiß ich ja, dass Eurer Majestät Abwesenheit mit Rücksicht auf wichtige und notwendige Dinge erforderlich ist, doch zwingen mich gleichwohl Liebe und Zuneigung, Eure Gegenwart zu ersehnen.
Wiederum und andererseits nötigen mich die gleiche Liebe und Inbrunst, gar zufrieden zu sein mit Eurem Willen und Vergnügen. So macht die Liebe mich in allen Dingen mein eigen Behagen und Vergnügen beiseite stellen und mich in Freuden fügen in Willen und Vergnügen dessen, den ich liebe. Gott, der alle Geheimnisse weiß, wird erkennen, dass diese Worte sind nicht nur mit Tinte geschrieben, sondern eingeprägt in mein Herz.
Auf dass es Eurer Majestät nicht langweilig werde, will ich diesen meinen gekritzelten Brief nunmehr beschließen und Euch in die Obhut des Herrn geben, auf dass Euch hier auf Erden ein langes und glückliches Leben sei vergönnt und nach diesem Leben das Königreich Seiner Auserwählten Eurer harre.
Aus Greenwich.
Von Eurer Majestät untertänigster, gehorsamer
und liebender Gemahlin
und Dienerin
Katherine die Königin, K. P.
Ich war gesegnet mit einer solchen Frau. Aber sie durfte nicht wissen, dass ich wieder von den Dämonen geplagt wurde, die sie einst zu vertreiben geholfen hatte. Nein, nein …
Als ich in Boulogne residierte, abwechselnd glücklicher und elender als je zuvor, traf mich jäh ein Schlag, der mich vollends auf die Seite des Elends schleuderte. Karl hatte zu Crépy einen Geheimfrieden mit Franz geschlossen, noch während ich die Stadt belagert hatte. Er hatte sich aus dem Krieg zurückgezogen; jetzt war er vielleicht nicht mein Feind, aber jedenfalls auch nicht mein Verbündeter. Hilfe hatte ich von ihm nicht zu erwarten. Ich stand allein gegen Frankreich, gegen Schottland und vielleicht auch gegen die Türken.
In Frankreich würde ich nicht weiter vordringen können. Krank im Herzen musste ich mich nach England zurückziehen und mich gegen eine mögliche Invasion wappnen. Ich ließ Brandon als Befehlshaber zurück und befahl ihm, Boulogne über den Winter zu halten. Die Stadt aufzugeben, kam mir nicht in den Sinn; mit ihr hatte ich den Bezirk Calais immerhin verdoppelt.
Kate war überglücklich, mich zu sehen, und mit Freuden legte sie die Bürde der Regentschaft nieder. Sie hatte sie gut getragen, aber auf Schultern, die den Mantel der Königswürde nicht gewohnt waren, lastete sie doch schwer.
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