Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
Vom Netzwerk:
nah, zu unmittelbar. Konnte er denn von seinem Standpunkt aus das Ende meines Lebens erkennen? War es wirklich so deutlich sichtbar?
    »Das Handeln verjüngt mich«, entgegnete ich steif. »Ich habe zu lange in der Stube gehockt und über Papieren gebrütet. Nichts, was das Herz anregte, außer Schmerz. Keinerlei ehrliche leibliche Ertüchtigung, die ein reiner Freund ist für den Körper.« Sein Gesicht hatte einen skeptischen Ausdruck. »Ein Freund. Ich bestehe darauf, dass es ein Freund ist für den Körper. Das Kriegführen, meine ich.«
    »Nichts ist heute noch ein Freund für Euren Körper, Eure Majestät«, sagte er.
    Er wusste nichts. Dummkopf von einem Arzt! Handeln kurierte mich, Nichtstun ließ mich verrotten.
    Auch Karl beteiligte sich an solchen Drangsalierungen. Als er erfuhr, dass ich die Absicht hatte, meine Truppen persönlich ins Feld zu führen, erschrak er und versuchte, mich davon abzubringen. Er appellierte an meinen Gefahrensinn und an mein Alter – zwei Dinge, die mich unfehlbar zur Raserei brachten. Nie hatte ich die Gefahr gefürchtet, wenn die Ehre auf dem Spiel stand, und ich verachtete diejenigen, die es taten. Und was mein Alter anging: Ich war nur acht Jahre älter als Karl.

    Unterdessen nahmen die Vorbereitungen ihren Gang. Sobald der Kanal sturmfrei wäre und man gefahrlos segeln könnte, würden wir mit unserer Armee in See stechen. Den ganzen Winter über war ich fieberhaft mit den Vorbereitungen beschäftigt. Weihnachten nahm ich kaum zur Kenntnis, und so stand es Kate frei, es zu feiern, wie es ihr lieb war: als Geburtstag Christi, nicht als großes öffentliches Fest. Sie und ein Kreis frommer Glaubensgenossen beteten und hielten Vigil. Ich stellte derweil Ordonnanzlisten auf und überwachte die Überholung meiner Schlachtschiffe Mary Rose, Great Harry und Matthew Gonnson. So verbrachten wir Weihnachten jeder auf seine Weise und lobten Gott je nach unserer Begabung.
    Die Fastenzeit kam, und der Aschermittwoch bedeutete, dass es nur noch vierzig Tage bis Ostern waren. Nach Ostern, wenn die vorherrschenden Winde im Ärmelkanal ihre Richtung wechselten, würde es beginnen.

    Endlich war er da, der Augenblick, den ich, ohne mir dessen bewusst zu sein, in all den Jahren erwartet hatte, während ich meine Substanz an Nichtigkeiten vergeudet hatte: Krieg! Krieg! Gloria! Alles andere führte hierher. Mit einem Krieg hatte ich begonnen; was konnte ich da mehr verlangen, als mit einem zu beschließen, zu vollenden, was ich auf dem Schlachtfeld hinterlassen hatte? Der alte Mann würde die schlammverdreckte Standarte zurückerobern, die der Jüngling hatte fallen lassen, zurückgehalten von den Händen Wolseys, Ferdinands und Maximilians.
    Karl kämpfte schon seit einem Jahr planlos gegen Franz. Nichts war gewonnen. Ich würde nicht derart kopflos vorgehen. Nein, ich hatte mein Ziel bereits ins Auge gefasst: Boulogne, die Stadt in der Picardie, Calais benachbart. Schon oft hatte ich es von Dover oder von Hastings aus gesehen, wenn ich am Meer gestanden hatte. Schimmernd und blinkend winkte es über den Kanal, verspottete mich, sagte: Ich bin so nah wie Calais. Es sah aus wie eine Wolkenbank, aber es war ein zähes kleines ummauertes Städtchen, das mich da herausforderte. Wenn ich Boulogne eroberte, könnte ich es mit Calais vereinigen und einen Streifen England an der französischen Küste begründen …
    Kate sollte als Regentin zurückbleiben. Ich hatte sie in den letzten Monaten beobachtet; sie war so vertrauenswürdig und kompetent, dass folgerichtig niemand außer ihr infrage kam, in meiner Abwesenheit das Zepter zu führen. Der einzig mögliche Unruheherd war Schottland. Sollte es zur Bedrohung werden, wenn alle meine Soldaten auf dem Kontinent waren, so würde Kate keinen General zur Verfügung haben, wie Katharina 1513, als Norfolk für sie in Flodden Field hatte kämpfen können. Aber Schottland hatte jetzt keinen König mehr, sondern nur ein kleines Mädchen als Herrscherin. Nein. Es würde keinen Krieg geben.

    Es war Mai, und ich stand am Strand von Dover. In der Nähe ankerte mein Flaggschiff, die Great Harry, und ich würde bald an Bord gehen. Norfolk und Suffolk hatten den Kanal mit der Hauptstreitmacht bereits überquert; sie hatten ihr Lager bezogen und erwarteten mich, den obersten Heerführer.
    Kate und ich sahen einander an. Ihr Gesicht war ernst; unter dem Schatten ihrer Haube sah ich, dass sie die Stirn runzelte.
    »Gott sei mit Euch, Eure Majestät«, sagte sie.

Weitere Kostenlose Bücher