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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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Ich galoppierte ihr nicht freudig entgegen, um ihr die Schlüssel der Stadt Boulogne zu Füßen zu legen, wie ich der Prinzessin von Aragon damals die Schlüssel von Tournai präsentiert hatte. Stattdessen zeigte ich sie ihr nur und sagte: »Es war eine gute Belagerung, aber der Rest des Feldzugs ging fehl und ward von Verrat zerfressen.«
    »Karl hat sich nicht ehrenhaft benommen«, sagte sie. Sie sagte nie alles, was sie dachte. Eine taktvolle Frau. »Vor Eurer Ankunft erreichte mich dies.« Sie gab mir ein Pergament, dicht bestückt mit französischen Siegeln.
    Franz wünschte seine Gesandten herüberzuschicken, um die Friedensbedingungen zu erörtern, und zwar so bald wie möglich.
    »Um die Rückgabe von Boulogne zu erörtern, meint er wohl«, schnaubte ich. »Aber daraus wird nichts.«
    »Natürlich nicht. Aber eine solche Erörterung wird dazu dienen, dass die Zeit zu Euren Gunsten verrinnt.«
    Ich lächelte. Eine Politikerin. Die Lady von Aragon hätte nur von Ehre geredet. Ich schaute auf ihre Hände, die noch weitere Papiere umfasst hielten, die sie mir vorlegen wollte. Sie sahen aus wie Klauen. Die Finger waren lang und knochig und endeten in gekrümmten Krallen. Einige der Krallen trugen Ringe. Marias kleiner Rubinring war da, aber anstelle des Steins trug er einen dicken Blutstropfen, der immer weiter anschwoll, zitterte, bebte, herunterzufallen drohte …
    »Mein Lord, Ihr müsst Euch ausruhen. Sicher seid Ihr erschöpft von der Reise. Erzählt mir von der Überfahrt … wie war sie? Ich war noch nie auf dem Wasser …« Behände nahm sie mich bei der Hand und führte mich in mein Gemach. Ihre Klaue ruhte leicht auf meinem Ärmel. Hoffentlich zerrissen die Krallen mir nicht den Stoff.
    Als ich erwachte, war die Dämmerung schon weit fortgeschritten. Ich lag vollständig bekleidet auf dem Rücken; selbst die Schuhe steckten noch an meinen Füßen. Ich fühlte mich gut, ausgeruht, ja behaglich. Ich musste erschöpft gewesen sein; jetzt sah ich es ein. Deshalb war Dr. Butts ja auch besorgt gewesen; er hatte befürchtet, dass ich meine Energie zu sehr beanspruchen könnte. Aber die Erregung des Krieges hatte die Strapazen so bezaubernd sein lassen, dass ich nicht gemerkt hatte, welchen Tribut sie von mir forderten. Jetzt würde ich ruhen, und die Dämonen würden mich nicht mehr heimsuchen.
    Boulogne war eine Prise, die eine oder zwei Halluzinationen wert war. Die Phantome würden verwehen, aber Boulogne würde bleiben.

    Die französischen Unterhändler kamen unverzüglich. Ich gewährte ihnen gnädig freies Geleit über den Kanal, um sie zu empfangen und mir ihre Vorschläge zu Gehör bringen zu lassen. Es war aber hoffnungslos von Anfang an, denn meine Bedingungen – ich würde Boulogne behalten, und die Franzosen sollten ihre Provokationen in Schottland einstellen – waren für Franz ganz und gar unannehmbar. So kehrten die Gesandten bald darauf wieder heim; gegen Ende Oktober hatten sie die heikle Kanalüberquerung hinter sich gebracht und waren wieder in Paris, wo Franz den Winter in behaglichem Versteck mit seiner Mätresse Anne, der Duchesse d’Estampes, zu verbringen gedachte. So viel zu den Franzosen.
    Was Karl anging, so bedeckten wir einander mit Salven von Vorwürfen. Er vertrat lächerliche Behauptungen: Ich hätte mich erstens dem vereinbarten Marsch gegen Paris entzogen; ich hätte zweitens die (in die Länge gezogene) Belagerung von Boulogne zum Vorwand genommen, einer beiderseitig getroffenen Verabredung untreu zu werden; ich sei drittens einverstanden gewesen, Karl als »Schiedsrichter Europas« handeln zu lassen, was er nun zu tun versuche und aus welchem Grunde er einen privaten Separatfrieden mit Franz geschlossen habe; ich sollte ihm in dieser seiner Eigenschaft als Schiedsrichter viertens die Stadt Boulogne in die Hände legen, auf dass er darüber entscheiden könne, wie er es für richtig halte.
    Ich hingegen hatte ihm machtvolle Vorwürfe entgegenzuhalten. Ich schleuderte sie ihm vor die Füße, doch er reagierte nicht darauf, ja, er wies sie nicht einmal zurück. Ich erklärte: Erstens habe sich Karl des Verrats gegen mich schuldig gemacht, denn wir seien wohl übereingekommen, dass jeder von uns separate Verhandlungen führen, nicht aber, dass einer ohne den anderen einen Vertrag schließen dürfe; zweitens sei Karl durch unsere Vereinbarung gehalten, als mein Verbündeter, nicht jedoch als Vermittler zwischen Frankreich und England zu agieren; drittens würden englische

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