Ich, Heinrich VIII.
»Möge Er Euch den Sieg schenken.«
Sie klang wie ein Erzbischof.
»Möge Er Euch Frieden schenken«, erwiderte ich und nahm ihr Kinn in meine Hand. Ihr Gesicht war sehr dicht vor dem meinen. Ich sah winzige Schweißperlen auf ihrer Stirn. Gern hätte ich sie geküsst. Ich wagte es nicht.
»Ich danke Euch, Eure Majestät.« Mit den Mundbewegungen des Sprechens entzog sie ihr Antlitz meiner Hand. »Ihr sollt … dies tragen.« Dabei schob sie mir einen Ring auf den Finger. »Und denkt an mich, wann immer Euer Blick darauf fällt.«
Ich schaute auf den Ring. Es war ein hübscher kleiner Jaspisring von ihrem eigenen Finger. Es war das erste persönliche Geschenk, das ich von ihr bekommen hatte.
CXXIV
D er Kampf ging gut; Boulogne wurde nach verhältnismäßig kurzer Belagerung erobert. Wir eroberten es allein, denn Karl hatte kein Interesse daran. Er folgte seinen Bedürfnissen, ich den meinen. Als Jüngling hätte ich das unter keinen Umständen hinnehmen können; ich hätte fruchtlose Tage darauf verwandt, auf ihn einzureden und dann unsere Truppen zu koordinieren. Aber so war es viel einfacher.
Ich hatte die englische Armee – insgesamt zweiundvierzigtausend Mann, die größte englische Invasionsstreitmacht, die je auf den Kontinent gezogen war – in zwei Teile geteilt. Die eine Hälfte belagerte unter Norfolks Kommando Montreuil, eine wichtige Stadt in der Nähe von Calais; ich befehligte die andere Hälfte und leitete die Belagerung von Boulogne. Ich schlug das Lager nördlich der Stadt auf, am Meer. Wenn ich morgens aufstand und aus dem Zelt schaute, sah ich das raue, funkelnde Meer auf der einen Seite, die falsche Sicherheit der Stadtmauern von Boulogne auf der anderen. Ich roch den Kochdunst von den Lagerfeuern – eintausend kleine Rauchfähnchen, deren jedes bedeutete, dass ein Koch mit seiner Pfanne hantierte.
Diesmal lebte ich einfach. Kein besonderes Bett, kein Gewandmeister, kein goldenes Geschirr, wie ich es auf dem Feldzug in meiner Jugend verlangt hatte. Damals hatte ich geglaubt, Majestät brauche ihre Insignien, und ein König sei nur dann ein König, wenn er immer in der entsprechenden Kleidung erschien und in einem königlichen Bett schlief. Heute wusste ich, ich war König noch auf der gemeinsten Pritsche, und ich wollte so schlafen, damit ich wusste, was gemeine Männer empfanden.
In meinem Zelt gab es nur eine Pritsche mit einer Wolldecke, eine Truhe, einen Klapptisch und eine Laterne. Ich war all meiner gewohnten Ausstattung beraubt und fühlte mich wieder wie ein Kind, wie ein ehrliches, unbeschwertes Kind.
Das Aufstehen am Morgen war so einfach. Man öffnete die Augen, man erhob sich von der Bettstatt und zog Kleider aus der Truhe – oder man zog das an, was man am Tag zuvor getragen und abends über die Truhe geworfen hatte. Man verrichtete seine Notdurft (hinter dem Zelt an einem Graben) und begab sich dann zu der Kochstelle, die für seine Gruppe von Zelten zu sorgen hatte. Dort wurde man von einem Frühstück aus gedörrtem Rindfleisch, altem Brot und Bier erwartet. Wenn die nächtlichen Raubzüge in der Umgebung erfolgreich gewesen waren, gab es Eier und Hühner. Die Sonne wärmte einem die Schultern, und man fühlte sich wohl. Vielleicht auch peitschte der Wind über den Kanal heran; dann zog man sich ein wollenes Hemd über den Kopf und genoss beglückt jede Faser dieser Wolle.
Dieses von allem entkleidete, einfache Leben kräftigte mich auf magische Weise. Es machte meine Gedanken frei und intensiv zugleich. Ich leitete die Belagerung, beaufsichtigte jeden Aspekt: Wo die Kanonen stehen sollten, wie viel Pulver für jede Bombarde verwendet werden sollte, aus welchem Schusswinkel sich die besten Treffer würden erzielen lassen. Die Mauern hielten geraume Zeit stand, und wir vermochten sie nicht zu beschädigen. Dann aber gelang uns ein guter Schuss mitten auf eine schwache Stelle, und wir rissen eine Bresche. Als die Steine durch die Luft flogen und der Schutt auf uns herniederregnete, wusste ich: Boulogne war unser.
Drei Tage später ergab sich die Stadt, und ich marschierte im Triumph dort ein.
Sie jubelten mir zu, schwenkten Zweige, nannten mich Alexander. Dreißig Jahre zuvor hatte ich es geglaubt – denn das Gleiche hatten sie in Tournai gebrüllt. Jetzt erkannte ich den Ehrentitel als das, was er war: eine abgenutzte alte Phrase, mit der man jeden Eroberer rituell aufs Neue bedenkt. Karl war Alexander genannt worden, und Franz ebenso. Jeder war schon Alexander
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