Ich, Heinrich VIII.
und stachen. Blumen ließen in der Sonnenhitze die Köpfe hängen; der Wärter hatte am Abend zuvor vergessen, sie zu gießen. Die schiere Geschäftigkeit des Lebens erschien wie ein Sakrileg. Unverzüglich wurden wir von seinen Erfordernissen aufgesogen. Die Leute sammelten sich in kleinen Gruppen und plauderten – je frivoler der Gegenstand, desto besser. Nach einer Beerdigung ist das Bedürfnis nach dergleichen sehr stark, und ich zweifelte auch nicht daran, dass viele sich ihren ehelichen Pflichten hingeben würden, sobald sie Gelegenheit hätten. Fast schien es, als sei es ein Teil des Protokolls – vielleicht auch war es die Rebellion gegen den Tod.
Siehst du, wie lebendig wir sind? Solange wir dies tun, kannst du uns nichts anhaben. Es zeigt, wie lebendig wir sind. Dies ist nicht dein Reich, Tod.
In der Großen Halle des Schlosses von Windsor wartete der Leichenschmaus. Ich hatte befohlen, feinstes Gebäck und Speisen herbeizuschaffen und das Beste Bier aus Kent. Für die traditionellen kleinen Beerdigungskuchen aus Suffolk hatte der Hausbäcker von Brandons Anwesen in Westhorpe gesorgt. Er hatte jeden einzelnen exquisit gefertigt; auf dem Pastetendeckel prangte eine Miniaturausführung des Herzogswappens.
»Zu Ehren meines Herrn«, hatte er gesagt, als er die Kuchen aufgetragen hatte. Er musste tagelang daran gearbeitet haben.
»Er ist geehrt«, versicherte ich ihm, »wenn er Diener wie Euch hatte.«
Jetzt betrachtete ich sie, wie sie sauber geordnet auf dem königlichen Goldgeschirr prangten. Wieso sind exquisite Speisen ein Teil des Todes? Die Lebenden erwarten, dass man ihnen zu essen gibt, obwohl sie gar nicht gearbeitet haben.
Die Halle füllte sich, die Trauergäste kamen aus der stechenden Sonne herein. Die beiden Fraktionen des Staatsrates sammelten sich um ihre Mittelpunkte – Edward Seymour, der Graf von Hertford, auf der einen und Henry Howard, der Graf von Surrey, auf der anderen Seite – wie die Strömung um einen Wirbel; schwarze Mäntel kreisten langsam um die Mitte.
Um Seymour drehten sich William Petre und William Paget, die beiden ersten Minister, und natürlich Tom Seymour persönlich; wichtig, aber heute nicht anwesend, war auch John Dudley, der jetzt in Boulogne die Garnison führte.
Das Rad, dessen Nabe Henry Howard war, bestand aus Bischof Gardiner, dem Herzog von Norfolk und Thomas Wriothesley – ein konservativer Kreis.
Wann waren diese beiden Fraktionen entstanden? Als ich Wolsey gehabt hatte, waren sie noch nicht da gewesen. Vielleicht waren solche Fraktionen ein Teil der »Neuen Ordnung«; vielleicht brachten die »Neuen Menschen« sie mit sich. Bei Cromwell hatten sie jedenfalls existiert. Er war der Liebling der einen und der Fluch der anderen Seite gewesen. Jetzt fauchten und schnappten die beiden Parteien nacheinander wie tollwütige Hunde im August. Welches Ziel verfolgten Fraktionen? Sie wollten den Souverän in die eine oder andere Richtung lenken. Aber dieser Souverän ließ sich nicht lenken – das mussten sie doch wissen.
Folglich musste es ein anderer Souverän sein, den sie unter ihre Knute zu bringen suchten.
Edward.
Sie sahen meinen Tod voraus und trachteten danach, die Herrschaft über Edward zu erlangen.
Es war mein Begräbnis, das sie feierten, mein Begräbnis, nach welchem sie sich hier versammelten und Fleischpasteten aßen und ihre Pläne schmiedeten. So würde es geschehen. Heute war die Generalprobe. Es war eine Sache, dass ich dies erkannte; für meine Feinde war es eine andere.
Verdammt sollten sie sein! Ich würde so lange wie möglich am Leben bleiben und alle ihre Pläne vereiteln!
In Wahrheit gab es hier keinen, der geeignet gewesen wäre, an meiner statt zu herrschen. Gleichgewicht war nötig, das Gleichgewicht zwischen dem Neuen und dem Alten, eben das Gleichgewicht, das in meinem Kopf existierte. Deshalb, deshalb … musste ich beide Fraktionen zum Protektorenrat für Edward ernennen. So würde jede Seite die üblen Aspekte der anderen aufheben. Aber, oh!, wie mühsam …
Ich sah sie an. Sie waren so klein. Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land besitzen. Aber wie lautet die Übersetzung, die genaue Übersetzung, für »sanftmütig«? Doch gewiss nicht »farblos«, »kurzsichtig«, »furchtsam«. Aber so waren die Männer, die nach der Herrschaft über England strebten.
Ich wandelte unter den Gästen umher, lächelnd, freundlich. Meine Gestalt war inzwischen so mächtig, dass es mich anstrengte, mein Gewicht hin und
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