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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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gegen jeden Ritter im Reich«, rief ich. »Hier zu Westminster, auf dem Turnierplatz, fordere ich euch heraus. Kommt und tretet eurem König entgegen!« Vor mir ein Strand voller Kiesel, und jeder Kiesel ein Mensch. Ein hübscher Strand. »Ihr alle hier … ich lade euch ein, wie kein König sein Volk je einlud: Kommt und nehmt euch das Gold von meinem Leibe.«
    Ich breitete die Arme aus und bot mich ihnen dar: Es drängte mich dazu, mich ihnen zu opfern. Sie drängten nach vorn, all diese Menschen. Ich war umhüllt von ihren warmen Leibern, ihrem Atem, ihrer Kraft – denn ihre Zahl machte sie stärker als jedes Tier. Als Erstes rissen sie mir die goldenen Lettern von meinem Kostüm – die Hs und die Ks, die ich an meinem Rock hatte befestigen lassen. Eine jede war aus purem Gold gegossen. Dann kam der Rock selbst. Dann fassten sie mich an und zerrten an meinen Leibgewändern. Das Anfassen war furchtbar, aber zugleich ließ es eine seltsame Erregung in mir aufsteigen. Es war, als würde ich von hundert Händen liebkost – oder als krieche ein Schwarm von Insekten über mich hinweg.
    Sie rissen mir alles vom Leibe, in einer regellosen, ungebärdigen Parodie des Rituals, das meine Kammerdiener allabendlich in meinem Schlafgemach vollzogen. Man ließ mir nur die leinenen Unterkleider, das Hemd und die Hose, beide halbwegs durchsichtig. Ich war nackt vor aller Augen. Mein Leib war dem Königreich zur Schau gestellt. Einen Augenblick lang stand ich so da, König und Opfer. Dann fielen sie über die anderen her, über Neville, Carew und Thomas Knyvett, und entkleideten sie in gleicher Weise.
    Plötzlich wurde es hässlich. Das Volk verwandelte sich in eine Bestie, eine Bestie mit Reißzähnen, die jetzt auch die anderen Schauspieler anfiel und entblößte, und dann stand mein hübscher kleiner Vetter Heinrich Courtenay nackt vor ihnen. Das war genug. Ich gab meine Befehle. Die bewaffnete Garde drängte sie zurück, zur Halle hinaus und in die gemeine Nacht zurück. Für sie war es vorüber.
    Katharina war starr vor Zorn, als ich wieder zu ihr kam. »Ihr habt dieses Fest zu einem Gespött gemacht«, sagte sie. »Ihr habt Euren Sohn entehrt. Ich schäme mich, Euch zum Gemahl zu haben.«
    Ich lachte. Ich wusste, dass es sie ihren empörten Worten zum Trotz nach mir verlangte und dass sie Gefallen an mir hatte. Meine Kühnheit berührte etwas, das tief verborgen in ihrer spanischen Natur lag. »Dann will ich mich bekleiden«, erklärte ich, »und meinen Leib fortan verhüllen für alle Zeit.«
    In der Abgeschiedenheit der Ankleidekammer zog ich frische Gewänder an. Sie hatten mich wirklich bis auf die Unterhose ausgezogen! Ich musste kichern, als ich mir vorstellte, wie sie am nächsten Morgen daständen und sich fragten, was sie nun anfangen sollten mit einem Fetzen von des Königs Wams oder seinem Ärmel.
    Will:
    Es war schwer zu sagen, was die Fantasie der Leute stärker anregte: die Vorstellung, sich an dem Golde zu bereichern, oder zu sehen, wie der König und seine Kammerherren in aller Öffentlichkeit ausgezogen wurden.
    »Er hat sich von ihnen anfassen lassen!«, sagte meine Mutter ungläubig. »Und er hatte nichts dagegen, nein, er forderte sie sogar dazu auf!«
    »Nur seiner Frau wegen ließ er sie dann zurückdrängen«, warf mein Vater ein. Diese Erörterung fand beim Abendessen statt, während sie ihre Schüssel mit einem stark riechenden Kanincheneintopf füllten – stark riechend, weil das Kaninchen eigentlich schon vor einer Weile hätte verzehrt werden müssen. Mein Vater schob sich ein großes Stück in den Mund. »Harry selber hätte sich splitternackt ausziehen lassen«, behauptete er –
ein wenig undeutlich, weil er kaute.
    Meine Mutter brach einen Brocken Brot von einem altbackenen Laib und tunkte ihn in den Kaninchensaft. »Wir hätten auch einen goldenen Buchstaben bekommen können«, sagte sie wehmütig. »Es hätte unser Leben verändert.«
    »Nur für ein Jahr«, versetzte Vater. »Und was dann? Wieder zurück zu verfaultem Kanincheneintopf?« Er zog eine Grimasse, während er auf einem verdorbenen Bissen herumkaute.
    Keiner von beiden scherte sich um die Tatsache, dass der König in einem solchen Reichtum lebte, dass der Verlust goldener Lettern ihm nichts bedeutete. Im Gegenteil, sie waren stolz darauf, einen so reichen König zu haben. Sie sahen keinen Zusammenhang zwischen ihrer ärmlichen Kost und den aufwändigen Kostümen bei Hofe, die der Festmeister dort entworfen hatte.
    Und das war

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