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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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klare, präzise, zwangsläufige Taten –, und darin musste ich mich verlieren … oder finden, und nur damit konnte ich Gottes Huld zurückgewinnen. Ich war in meinen Taten nicht vollkommen genug gewesen, war nicht höchstselbst gegen die Feinde Christi (und Englands) zu Felde gezogen.

    Wolsey half mir, war da, als ich ihn am nötigsten brauchte. Wenn er auch Priester war, so verstand er sich doch am besten auf die Tat: auf die Welt der Menschen, nicht auf die des Geistes. Und was war die Welt der Menschen, die sich uns darbot wie eine Schachtel Zuckerwerk mit aufgeklapptem Deckel?
    Die Heilige Liga – die päpstliche Allianz gegen die Franzosen – wartete darauf, England in ihren Reihen zu begrüßen. Seine Heiligkeit hatte ein Dokument verfasst, in dem er mich als rechtmäßigen König von Frankreich anerkannte, sobald ich Paris erobert hätte. Maximilian, der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, stand bereit, um mir im Felde Unterstützung zu geben.
    Ich würde meinen Platz auf der Bühne des Kontinents einnehmen und Englands alten Traum von der Eroberung ganz Frankreichs zu verwirklichen trachten. Vielleicht war es das, was Gott in Wahrheit von mir verlangte; vielleicht hatte ich hier vor Ihm versagt. Als König hatte ich bestimmte Aufgaben zu erfüllen, wie sie auch einem Ritter aus Arthurs Tafelrunde gestellt wurden, und sich ihnen zu entziehen, bedeutete Schmach. England hatte dicht davor gestanden, Frankreich zu erobern, und einst hatte es große Teile des französischen Territoriums besessen. Heinrich
der VI . war sogar in Paris zum König von Frankreich gekrönt worden. Aber das war 1431, vor fast hundert Jahren. Seither hatten die Franzosen all ihre Kräfte gesammelt und uns Stückchen für Stückchen zurückgedrängt, während wir Engländer im eigenen Land gegeneinander kämpften, bis wir in Frankreich nichts mehr hatten als das kleine Calais und ein erbärmliches Gebiet ringsherum, das etwa neun Meilen tief ins Land reichte und zwölf Meilen breit war.
    Vielleicht würde Gott mir Sein Antlitz wieder zuwenden, wenn ich Frankreich eroberte. Davon war ich mehr und mehr überzeugt.

    Meine Ratgeber und der Geheime Rat waren im Großen und Ganzen nicht davon überzeugt. Von meinem Verlangen, mich mit Gott zu versöhnen, wussten sie nichts; aber sie waren gegen einen Krieg mit Frankreich. Vater hatte sie verwöhnt, indem er jede Verwicklung mit dem Ausland vermieden hatte, und daran hatten sie sich wie an jedes Privileg gewöhnt. Es waren schließlich Vaters hinterbliebene Ratsherren gewesen, die hinter meinem Rücken den Friedensvertrag mit Frankreich erneuert hatten. Diese Kleriker – Ruthai, Fox und Warham – fuhren fort, meine Bestrebungen zu hintertreiben und endlose Predigten über die Nutzlosigkeit, die Kostspieligkeit, die Verderbtheit des Krieges zu halten. Die Adelsvertreter im Rat –
Howard, Graf von Surrey, und de Vere, Graf von Oxford und Lord Hochadmiral, dessen raison d’être das Kriegführen war – sprachen dafür. Aber die Kirche nicht, und die Intellektuellen (die ich so gehätschelt hatte, um meinen Hof mit humanistischem Glanz zu versehen!) ebenfalls nicht. Erasmus, Vives, Colet – sie schwatzten und schrieben Unfug wie: »Noch jeder, der von Ehrgeiz oder Hass getrieben in den Krieg zog, kämpfte unter dem Banner des Teufels.«
    Verdrossen bat ich Wolsey einmal, er möge exakt feststellen, was es kosten würde, eine Streitmacht von dreißigtausend Mann aufzustellen und auszurüsten, damit ich fortan handfeste Zahlen ins Feld führen könnte. Ich gab Wolsey keinen Einblick in Musterrollen oder Korrespondenzen. Inzwischen wusste ich, er war so fleißig und erfindungsreich, dass er, abgesehen von einer unbestimmt zum Ausdruck gebrachten Bitte, keine weiteren Anweisungen von mir benötigte.
    Indessen, als die Tage vergingen, ohne dass ich ihn zu Gesicht bekam, und es erforderlich wurde, dass ich mich mit ihm eines Gerüchtes wegen beriet, welches besagte, dass der wüste Papst Julius auf den Tod erkrankt sei, da erkundigte ich mich nach seinem Aufenthaltsort. Zu jener Zeit wohnte er mit nur einem Diener und einem Sekretär in einer kleinen Suite von Kammern im Schloss, der königlichen Kapelle benachbart. Ich unternahm etwas Ungewöhnliches und begab mich selbst in seine Gemächer. Aber Jonathan, sein Diener, teilte mir mit, sein Herr habe sich »in ein Gasthaus in Kent verfügt, woselbst er für einige Zeit mit sich zu Rate zu gehen« gedenke. Ich ließ den Blick durch die

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