Ich, Heinrich VIII.
wächsernen Siegel zu brechen und das Pergament zu entfalten. Es war schon dunkel; ich musste befehlen, dass man weitere Kerzen entzünde, weil ich sonst nichts hätte lesen können.
An diesem Tag war ich unverletzlich. Ich wusste, die Nachricht konnte nur gut sein. Daher las ich ganz ohne Überraschung, ja, sogar ohne Jubel, dass Thomas Howard am neunten September zu Flodden Field mit James IV . zusammengetroffen war und die Hochländer samt ihren Anführern in einem Hagel von Kugeln und Pfeilen vernichtet hatte. James IV . und sein Sohn, der Bastard Alexander, waren einen Schritt weit vor der englischen Standarte niedergemacht worden. Die Bischöfe von den Inseln und von Caithness, die Äbte von Inchaffney und Kilwinning (ob sie auch an Christus gedacht hatten?), die Grafen von Montrose, Crawford, Argyle und Lennox wie auch der größte Teil des schottischen Adels, waren massakriert worden.
Zwölftausend Schotten waren auf dem schlammigen, grausamen Schlachtfeld von Flodden gefallen. Sie waren dezimiert. Schottland war für eine ganze Generation vernichtet.
»Ihr sollt sehen, Euer Gnaden«, schrieb Katharina, »wie ich mein Versprechen halte. Ich sende Euch, zum Tausch gegen Euer Banner, den Rock eines Königs.« Ich öffnete den Beutel, der beigefügt war: Ein königlicher Rock steckte darin, von Goldbrokat, durchtränkt und steif vom Blute eines Königs. Er war zerrissen und zerschnitten von Streitäxten und Schwertern. Als ich ihn vor mir in die Höhe hob, fühlte ich Angst und keine Freude. Ich ließ ihn zu Boden fallen.
»Schottland und sein König sind zugrunde gegangen«, teilte ich den ringsumher wartenden Kämpfern mit, meinen Gefährten und treuverschworenen Soldaten: Brandon, Neville, Carew, Bryan, Seymour, Boleyn, Courtenay.
Sie brachen in Jubel aus. »Ein glorreicher Tag!«, brüllte Brandon.
»Mächtig ist unser König, und er vernichtet seine Feinde!«, schrie der junge Courtenay.
Ich aber trat zur Tür meines »Hauses« hinaus und schaute auf die flache Ebene Frankreichs, und der Wind wehte mir ins Gesicht. Wann immer ich mich an diesen Augenblick entsinnen will, an diesen hochgemuten Augenblick des militärischen Triumphes, brauche ich nur die Augen zu schließen und ein Fenster zu öffnen und mir den Wind gleichmäßig und kalt über Lippen und Wangen wehen zu lassen. Ich tue es manchmal in Augenblicken der Unsicherheit. Dann bin ich wieder jung und mächtig.
Will:
Katharina glaubte, sie bereite ihm eine Freude, indem sie ihm den blutigen Rock des Schottenkönigs zum Tausch gegen den gefangenen Duc de Longeville sandte. Als ob dies ein ausgeglichener Tausch gewesen wäre!
Katharina war Heinrich äußerst ergeben; Katharina war äußerst kompetent und loyal; Katharina war äußerst dumm in entscheidenden Dingen.
Heinrich VIII.:
Wir landeten in Dover fast auf den Tag genau vier Monate, nachdem wir gen Frankreich in See gestochen waren. Damals hatte ich aufgeregt darauf gewartet, Frankreich zu erblicken – ich, der ich nicht einmal England gesehen hatte, abgesehen von der Gegend um London – um dort gegen eine große Übermacht zu kämpfen. Frankreich hatte sich als schönes Land, ich mich als Soldat erwiesen. Und jetzt war ein Teil des schönen Frankreich meine Kriegsbeute.
Längs der Straße von Dover nach London warteten meine Untertanen. Sie wollten uns sehen, uns berühren, uns ihre Grüße zurufen. Wir hatten unsere Sache gut gemacht, und damit hatten wir in den Engländern einen Nerv berührt und eine Sehnsucht in ihnen geweckt. Und im nächsten Jahr würden wir diese Sehnsucht wiederum befriedigen, denn wir würden wiederum in Frankreich einfallen, diesmal indessen nach gründlicher Absprache mit Ferdinand und Maximilian. Der Feldzug dieses Jahres war erst der Anfang gewesen.
Will:
Hier habe ich Heinrich VIII. auch wiedergesehen. Ich stand inmitten der Scharen von Menschen an eben jener Straße von Dover nach London und brannte darauf, einen Blick auf ihn, auf den Knaben-König, zu werfen. Stundenlang, so kam es mir vor, stand ich da und wartete auf die Andeutung einer Bewegung auf der Straße. Der König kommt. Nein, es wird noch eine Stunde dauern, bis er kommt. Es war unabsehbar, doch ich wagte nicht, mich zu entfernen. Endlich – fast Mittag war es, und wir standen seit dem Morgengrauen und warteten – tauchte er auf. Stolz saß er auf einem mächtigen weißen Roß. Er war ganz in Gold gekleidet, ja, er selbst war aus Gold: sein Haar, seine Augen, seine leuchtende Haut.
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