Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
Erschöpfungszustände sprechen. Für große Resonanz sorgte auch die Nachricht, dass Ulrich Wickert im Alter von 69 Jahren noch Zwillinge gezeugt hatte – woraufhin zahlreiche Blätter sich ausführlich mit den Vor- und Nachteilen der späten Vaterschaft als solcher befassten. Ähnlich war die Reaktion auf die Mitteilung des Altkanzlers Helmut Schmidt, sich nach dem Tod seiner Frau Loki mit 93 neu verliebt zu haben. Weitere Themen, die es vor allem dank prominenter Anhänger in die Medien schafften, sind der Buddhismus (Sharon Stone, Richard Gere, Meg Ryan, Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Tina Turner) und der Vegetarismus (Pamela Anderson, Gwyneth Paltrow, Keanu Reeves).
Umgekehrt eignen sich VIPs auch hervorragend dazu, Pflichtberichte, an denen Medien nicht vorbeikommen, aufzuhübschen. Zum Beispiel das für viele Leute öde Thema Europa. Daher kam das Wirtschaftsmagazin Euro auf die Idee, Jürgen Drews um einen persönlich gehaltenen Gastbeitrag mit dem paradigmatischen Titel »Warum ich der König von Mallorca bin« zu bitten. Darin erinnert er sich: »Als dann auch der Euro kam, das Zusammenwachsen der Länder sich auch auf die Währung ausstreckte, ich auf Mallorca nicht mehr meine Milliarden-Pesetenscheine einsammeln brauchte, und von allen nur noch in Euro gezahlt wurde, da habe sogar ich kapiert, was da passiert – obwohl ich ja immer so schlecht in Mathe war.«
Aus ähnlichem Grund kam die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung auf die Idee, zum Dauerthema Eurokrise ein ganzseitiges Interview ausgerechnet mit dem Bergfex Reinhold Messner zu bringen, das im Wesentlichen aus Binsen wie diesen bestand: »Ich bin kein Genie, habe auch noch keinen Banker oder Wirtschaftsboss getroffen, der mir hätte sagen können, was da genau passiert. Mir wäre es recht, wir retten alle europäischen Staaten. Sollte Europa auseinanderbrechen, wäre dies das Schlimmste aller Szenarien. Wir müssen den Euro retten. «
Praktischerweise ist ein enger Bezug zwischen Promi und Thema nicht notwendig. So stieg ein Bild -Reporter anlässlich des zehnten Jubiläums der Terroranschläge vom 11. September 2001 mit Franz Beckenbauer auf das im Bau befindliche neue Hochhaus am Ground Zero und schrieb darüber Folgendes: »Im 71. Stock des Rohbaus verewigt sich unser Kaiser mit seinem Namen auf einem Stahlträger. Ein bisschen Beckenbauer steckt nun auch im neuen World Trade Center.« Im alten World Trade Center – so viel zum thematischen Bezug – war Beckenbauer, der von 1977 bis 1980 sein Altenteil als Kicker bei Cosmos New York aufbesserte, eigenem Bekunden zufolge »früher oft zum Essen – im Restaurant in der 105. Etage«.
Einen ähnlichen Trick nutzte die Hamburger Morgenpost für einen Bericht über einen Hurrikan an der US-Ostküste – normalerweise wäre dem Lokalblatt ein solches Ereignis nur eine Meldung wert. Doch glücklicherweise ergab es sich, dass die »Heavy-Metal-Queen« Doro Pesch gerade in Hamburg und von dem fernen Unwetter betroffen war: Sie besitzt einen Bungalow auf Long Island, der stark gelitten hatte. Das war der Mopo einen Aufmacher wert, in dem es hieß: »Sie hielt zwar tapfer die gespreizten Finger zum Metal-Gruß in die Kameras und lächelte. Doch eigentlich war der stimmgewaltigen Rockröhre am Wochenende nicht nach Feiern zumute. ›Mein Haus versank in den Fluten.‹« Der finanzielle Schaden interessiere die »zierliche Power-Frau« dabei weniger: »Es geht um den ideellen Wert. Mir tut es um die Fan-Geschenke leid.«
Um welches Thema es auch gehen mag: je höher der Promi-Faktor, desto besser. Das gilt nicht nur für Boulevardblätter, sondern auch für das öffentlich-rechtliche Fernsehen, wie Bernd Gäbler bei einer Untersuchung des talklastigen Programms der ARD im Auftrag der Otto Brenner Stiftung 17 herausfand. »Im Drang nach Popularität bevorzugen inzwischen alle Talkmaster ihresgleichen als meinungsstarke Gäste: Medienleute – Journalisten, TV-Moderatoren, Schauspieler, Autoren, Fernsehköche – sind längst die am stärksten vertretene Gästegruppe«, schrieb Gäbler im Medium Magazin . Denn diese Leute wissen, wie das Geschäft läuft und was der Moderator hören will. Gäbler: »So wird mit Sonya Kraus, Lady Bitch Ray und Alice Schwarzer über Geschlechterverhältnisse gesprochen, mit Charlotte Roche über Tabus, mit einem Fernsehkoch und einer Schauspielerin über Jugendgewalt, mit RTL-Größen über sozialen Aufstieg, mit Rolf Eden und Ruth Maria Kubitschek über das Altern,
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