Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
gebracht. Der künstlerische Wert der Figur, die er verkörpert, ist dagegen gering. Im Vergleich zu Stefan Raab, der ebenfalls gern nach unten tritt, aber auch selbst ins Risiko geht und sich unter anderem von der Boxerin Regina Halmich vermöbeln ließ, erscheint Bohlens Rüpeltum zwergenhaft. Und an Unterhaltungswert ist beiden ein Macho alter Schule wie Burkhard Driest haushoch überlegen. Der Schauspieler und Schriftsteller brach sein Jurastudium ab, um eine Bank zu überfallen, und beeindruckte Romy Schneider mit seinem herben Charme in der Talkshow Je später der Abend so sehr, dass sie ihm vor einem Millionenpublikum zuhauchte: »Sie gefallen mir, Sie gefallen mir sehr.«
Die aus dem Unterschichtenfernsehen bekannten Rüpel von heute tun nur ihre Pflicht wie irgendein Abteilungsleiter, der im Auftrag des Chefs seine Untergebenen schurigelt. Noch eifrigerals Dieter Bohlen erledigt diesen Job Heidi Klum. In der Rolle der Gouvernante mit Fiepsstimme demütigt das aus Bergisch Gladbach stammende Mannequin naive Teenager, die davon träumen Germany’s Next Topmodel zu werden: »Du bist viel zu dick. Du hast dich nicht entwickelt. Du bekommst heute kein Foto von mir.« Die vierfache Mutter hat auch kein Problem damit, Kinder öffentlich vorzuführen, wie in der amerikanischen Show Seriously Funny Kids zu sehen war.
Dass eine wie sie es zu einem der einflussreichsten Menschen der Welt ( Time Magazine ) gebracht hat, kann einen schon zur Verzweiflung treiben oder sogar selbst zum Rüpel werden lassen, wie Roger Willemsen. Der – eigentlich auf die Rolle des feinsinnigen Intellektuellen abonniert – verlor angesichts der Klum-Mania die Fassung und schleuderte ihr via taz entgegen: »Der Exzess der Nichtigkeit aber erreicht seinen Höhepunkt, wo Heidi Nazionale mit Knallchargen-Pathos und einer Pause, in der man die Leere ihres Kopfes wabern hört, ihre gestrenge Entscheidung mitteilt und wertes von unwertem Leben scheidet. Da möchte man sechs Sorten Scheiße aus ihr herausprügeln – wenn es nur nicht so frauenfeindlich wäre.«
Die Skandal-Nudel
Surft geschickt auf der von ihr selbst ins Rollen gebrachten Empörungswelle. Das kann bewusst, halb bewusst oder – ganz große Kunst – unbewusst geschehen. Während es unsereins peinlich wäre, wenn alle Welt wegen eines echten oder vermeintlichen Fehltritts mit dem Finger auf uns zeigte, blüht die Skandal-Nudel dann erst richtig auf. Ihre Aufreger findet sie traditionellgern im Bereich unterhalb der Gürtellinie oder in der Zeit zwischen 1933 und 1945.
Einen Volltreffer landete der Geschichtswissenschaftler Ernst Nolte 1986, als er mithilfe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den sogenannten Historiker-Streit vom Zaun brach. In seinem von dem Blatt prominent präsentierten Aufsatz »Vergangenheit, die nicht vergehen will« behauptete er, bolschewistische Verbrechen seien »das logische und faktische Prius« der nationalsozialistischen Judenvernichtung, ein »kausaler Nexus« zwischen den beiden Verbrechen sei wahrscheinlich. Vulgo: Die Sowjets waren schuld am Judenmord der Deutschen. Mit dieser abstrusen These sorgte er für den gewünschten Sturm im Blätterwald. Von rechts gab es Beifall; die Linke und die Mehrheit der Wissenschaft bis hin zum Philosophen Jürgen Habermas bezogen Gegenposition. Innerhalb von zwei Jahren erschienen rund 1800 Zeitungsartikel zum Thema. Danach wurde es ruhiger um Nolte, auch weil der immer weniger Zweifel daran ließ, wes Geistes Kind er ist. 1994 ließ ihn auch die FAZ fallen, nachdem er in einem Spiegel -Gespräch gesagt hatte: »Im Augenblick verdienen die rechtsradikalen Geistesströmungen eher Unterstützung als die linksradikalen.« Und: Der Zweite Weltkrieg sei »tendenziell, der Möglichkeit nach, auch ein europäischer Einigungskrieg« gewesen.
Während andere Prominente auf eine regelmäßige, freundliche Begleitung durch die Medien setzen, braucht die Skandal-Nudel den Eklat. Ohne den – und viele freiwillige und unfreiwillige journalistische Helfer, die darauf anspringen – bliebe sie ein kleines Licht und könnte nur ihrem näheren Umfeld auf den Wecker gehen. Das zeigt der Fall Thilo Sarrazin. Der Mann, der als Beamter weit aufgestiegen und stets ohne Risiko durchs Leben gekommen war, fand mit den Jahren immer mehr Freudedaran, öffentlich gegen die Unterschicht zu teufeln. Als Berliner Finanzsenator riet er beispielsweise Hartz-IV-Empfängern, zwecks sparsamer Haushaltsführung kalt zu duschen: »Ein
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