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Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)

Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)

Titel: Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaye Ford
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Da konnte er lange warten. Den Gefallen würde sie ihm nicht tun. Nicht mal in ihrer letzten Sekunde. Sie würde bis zum bitteren Ende die Ratschläge ihres Vaters beherzigen. Sie würde dieses Arschloch bis aufs Blut reizen. Dann würde sie sterben.
    Sie hörte zu keuchen auf, sah ihn an und sagte: »Wenn du das Ding abfeuerst, bin ich tot. Ich werde drei Sekunden Angst haben und dann sterben. Ray, das ist nicht lange.«
    Sein Schlag beförderte sie diesmal auf den Boden. Ihre Beine und Füße waren in der Luft, ihr Körper war an den Stuhl gefesselt, eine Schildkröte auf dem Rücken. Wehrlos, doch sie hatte eine Chance.
    Ihr Leben würde sie nicht retten. Dafür war es jetzt zu spät. Aber sie würde nicht ohne Gegenwehr sterben.
    »Ray, willst du das wirklich?«
    Plötzlich riss er sie an dem Klebeband, das er um ihren Oberkörper gewickelt hatte, hoch. Er steckte die Waffe wieder in seinen Werkzeuggürtel und zog das Messer aus der Lederhülle. Es war groß, eine Art Jagdmesser. An einer Seite war es gezackt, an der anderen glatt. Er verletzte sie nicht, er durchtrennte ihre Fesseln. Zuerst die Kabelbinder an den Fußgelenken. Dann ihre Beine. Dann durchtrennte er mit einem sauberen Schnitt das Klebeband an ihren Armen, mit dem sie an den Stuhl gefesselt war, das ein silbernes Rechteck auf ihrer Bluse hinterließ. Ihre Hände blieben gefesselt, er zog sie vom Stuhl fort und zerrte sie den Flur entlang zum Notausgang.
    Daniel versuchte fieberhaft sich aufzurichten, sein Gesicht war schmerzverzerrt. An seinem Arm rann Blut herab, verschmierte die Wand hinter ihm, als sei ein Kind mit einem roten Pinsel daran entlanggelaufen.
    Vermutlich würde sie ihn nie wiedersehen. Sie wollte sagen, wie leid es ihr tat. Und sich bei ihm bedanken. Ihm sagen, dass sie für ihn hoffe, er müsse keinen schrecklichen Tod erleiden, sobald sie weg war. Weil Ray auch ihn nicht am Leben lassen würde. Weil er ihn im Flur einsperren und dann zurückkommen und ihn ermorden würde. Doch sie sagte nichts. Für so einen Abschied gab es keine Worte. Also sah sie ihm in die Augen und hielt, so lange sie konnte, seinen Blick.
    In seinen Augen lag unendliche Qual. Und Wut sprühte wie kleine Funken hervor. Sie wusste nicht, ob sie ihr oder Ray galt. Er hatte unzählige Gründe, wütend auf sie zu sein. Sie hatte ihm Schreckliches vorgeworfen. Sie ließ ihn hilflos in einer Falle zurück. Doch in seinem Blick lag auch Verzweiflung. Und irgendwas Dunkles, Schmerzerfülltes, Herzzerreißendes.
    Dann war sie weg.
    Ray stieß sie in die Nacht hinaus, ihre Arme und ihre gefesselten Handgelenke in seinem eisernen Griff gefangen. Die Luft fühlte sich kalt an auf ihrem schweißnassen Gesicht, die Dunkelheit schien wie eine Wand nach dem hell erleuchteten Flur, das Parkhaus eine Bedrohung. Sie hörte den Verkehr. Autos, eine Hupe. Hinter ihnen lag die Park Street, sie konnte sie nicht sehen – doch die Geräusche ließen sie Hoffnung schöpfen.
    So weit hatte sie nicht gedacht. Sie hatte nur daran gedacht, sich vom Stuhl zu befreien und ihm einen Schlag zu versetzen. Doch auf der Straße waren Leute, die nach Hause oder irgendwohin gingen. Auf der Park Street gab es noch andere Büros, andere Beschäftigte, die die Garage nutzten. Sie und Daniel waren nicht die Einzigen, die bis spät arbeiteten. Sie hätte rufen können, ein Geräusch machen oder Signal geben können. Ray niederschlagen und um ihr Leben rennen können.
    Dann packte er sie an den Haaren und stieß den Lauf der Nagelpistole in ihren Hinterkopf – und sie fragte sich, ob sie überhaupt in der Lage war, auch nur zu einem einzigen Schlag auszuholen.
    Jetzt schubste er sie vor sich her über die Fahrbahn und stieß sie zur Fußgängerrampe. Er hielt sie so fest an den Haaren, dass die Haut auf ihrem Gesicht spannte. Sie konnte ihren Kopf nicht drehen und nicht nach unten blicken.
    »Ray, warte. Ich muss kurz stehen bleiben. Ich habe vom langen Sitzen einen Krampf im Bein.«
    Er zog ihren Kopf noch weiter zurück, legte seinen Mund an ihr Ohr und knurrte: »Sprich nicht mit mir. Schau mich nicht an. Geh einfach.«
    Sie wehrte sich. Sie staunte über seine Kraft. Er war stämmig, trug lose Arbeitskleidung. Sie hatte gedacht, er wolle damit einen Bauchansatz und die erschlafften Muskeln eines Vierzigjährigen verbergen. Doch da hatte sie sich offenbar geirrt. Er drückte seine Brust gegen ihre Schulterblätter – und sie fühlte nur Muskeln.
    Sie kamen am ersten Stock vorbei. Dann am zweiten.

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